Eine Stadt, die in internationalen Rankings regelmäßig auf Platz eins bezüglich der Lebensqualität, zuletzt sogar im "Economist", aber auch in Sachen Unfreundlichkeit ihrer Bewohner landet, wirft Fragen auf.

In diesem Blog beschreibt Colette M. Schmidt ihre Suche nach dem Wiener Charme und dem goldenen Wiener Herz sowie andere Wiener Phänomene.

Foto: Der Standard/Köck

Colette M. Schmidt wurde in Kanada geboren, wuchs in Graz auf, wo sie 23 Jahre für den STANDARD schrieb. Seit Juli 2017 lebt sie in Wien und arbeitet als Redakteurin für das Chronikressort des STANDARD.

Foto: Matthias Cremer

Ja. Das war jetzt eine längere Pause. Dieser Blog lag auf Eis, hier herrschte monatelange Einöde, war in der Aanschicht. Wie man das im Wienerischen nennt.

In der Zwischenzeit ist viel passiert. Eine stille Mutation, die sich in Kleinigkeiten äußert. Ich sage jetzt zum Beispiel, dass ich "heim" fahre, wenn ich von irgendeinem anderen Ort nach Wien aufbreche.

"Heim" – das ist schon mehr als die Hälfte vom Wort Heimat. Ein Begriff, der ja jetzt wieder in allen möglichen Feuilletons erörtert wird, mit oder ohne Landestrachten, mit oder ohne Bedrohung dessen, was für Menschen plötzlich alles hinter diesem Begriff steht.

Wenn man einen Blog über die Bevölkerung einer Stadt schreibt, muss man auch nach so etwas wie Lokalpatriotismus fragen. Ich kann nur sagen: Den kenn ich nicht. Genauso wenig wie Patriotismus.

Zwei Heimaten

Aber ich hatte das Glück, von Geburt an mit zwei Heimaten ausgestattet zu sein, mit einer Muttersprache und einer Vatersprache. Ich kann mich an keinen Tag meines Lebens erinnern, an dem ich eine dieser Heimaten bedroht sah. Vielleicht deshalb, weil Heimat für mich nicht ein von Staatsgrenzen abhängiges Wort ist. Ein Gefühl von Heimat kann der der Klang einer Stimme sein, der Singsang eines vertrauten Dialekts vielleicht auch, das können Redewendungen sein, die man nur in Kanada hört, Witze, die nur in der Steiermark funktionieren. Heimat hat für mich einen Geschmack. Sie schmeckt in meinem Fall unter anderem nach Ahornsirup und Kernöl, hat aber das Potenzial, sich jederzeit um weitere Geschmacksrichtungen zu erweitern.

Heimat, wenn man das Wort unbedingt braucht, ist aber vor allem dort, wo man sich geborgen fühlt, das kann ein Ort allein nicht leisten, das sind Menschen, die man um sich weiß.

Sich in der virtuellen Welt zu Hause zu fühlen ist eine Herausforderung.

Funkstille

Und jetzt will ich Ihnen auch verraten, was es tatsächlich mit der Funkstille hier auf sich hatte. Ich überlegte sogar launige Ausreden dafür, warum mein Blog so lange auf Eis lag. Eine sechsmonatige Sommerpause angesichts der globalen Klimaerwärmung hätte sich fast angeboten. Aber ich will ehrlich mit Ihnen sein.

Ende Jänner wurde auf Facebook dazu aufgerufen, mir Nachrichten zukommen zu lassen. Wobei man dabei wohl keine freundlichen Nachrichten im Sinn hatte. Die Folge davon war nur teilweise etwas Neues für mich.

Während sich im Forum unter diesem Blog maximal launige Diskussionen über Menschen aus den Bundesländern und Wien entspannen, bekomme ich bei den anderen Themen seit vielen Jahren regelmäßig Postings und auch E-Mails ab, die irgendwo zwischen beleidigend und diffamierend angesiedelt sind. Eine eigene rechte Kampftruppe postet auch gern in stets ähnlicher Formulierung bei fast jedem Thema, dem ich mit annehme, die immer selben Unwahrheiten über meine Person. Beschimpfungen und Bedrohungen waren nicht neu.

Was aber neu war: Ich verlor die Lust daran, irgendetwas Harmloses, vielleicht Lustiges zu schreiben. Ich verlor die Lust daran, auch nur einen Zentimeter meines Alltags, meiner Privatperson, meines Humors in einem Raum zu teilen, der öffentlich ist, für jeden zugänglich, in dem man sich niemals geborgen fühlen kann.

Widerstandskraft der Mimosen

Dünnhäutigkeit kann man das natürlich auch nennen. Gerade Journalistinnen, die viel öfter im Netz attackiert werden als ihre männlichen Kollegen, gelten da schnell einmal als sogenannte Mimoserln. Aber da liegt Wienerische, um das es in diesem Blog auch wieder gehen soll, vielleicht ungewollt richtig. Die Eigenschaften, die man hinter einer Mimose vermutet, erfüllt diese nämlich überhaupt nicht. Mimosenbäume etwa sind tatsächlich extrem widerstandsfähige Pflanzen. Das hab ich einmal in deren Wahlheimat, in Südfrankreich, gelernt.

Aber zurück zum Beginn der langen Funkstille. Ich blieb hier erst einmal still. Entschied mich fürs Schlapf'nhoid'n. Dabei habe ich in den Wochen nach dem Aufruf derartig viele nette, ermunternde, herzliche, berührende Nachrichten bekommen, die mich wirklich sehr gefreut haben. Dafür bedanke ich mich jetzt endlich und pauschal bei allen. Es waren auf verschiedenen Kanälen mehr als tausend Nachrichten von Menschen, die ich zuvor nicht kannte. Viele schrieben, ich solle mich nicht einschüchtern lassen und meine Arbeit weitermachen.

Singsang

Aber ich will sogar noch mehr: hier hin und wieder ganz unbeschwert irgendetwas Harmloses, vielleicht Lustiges, möglicherweise sogar völlig Belangloses schreiben. So belanglos wie der Singsang des Wiener Dialektes, der sich immer vertrauter anfühlt. (Colette M. Schmidt, 29.8.2018)