Heutige Autos besitzen zumeist weiche Teiggesichter mit rot verhangenen Augen.

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Kolumnist Ronald Pohl.

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In den Jahren der letzten ÖVP-Alleinregierung genossen ganz gewöhnliche Automobile den Nimbus von Menschen, die man schon allein ihres Auftretens wegen für verwegen hält. Sie trugen Signalfarben, so als wollten sie ihren natürlichen Feinden, den Fußgängern, bedeuten, dass mit ihnen keinesfalls zu spaßen sei.

Ich, ein glücklicher Babyboomer, saß allmorgendlich hinter den Gitterstäben unseres Familienausgucks (Neubau, gefördertes Eigentum). Zu meinen Füßen tummelten sich Horden von Autos: jedes von ihnen ein unverwechselbares Individuum, die Augen (Heck) rot unterlaufen, Stirn und Wangen von kalmückischer oder tatarischer Exotik. Jede Automobilmarke symbolisierte ein Naturvolk. Mit einigen solcher Autos wäre ich gern befreundet gewesen. So besaß ich bloß eine Miniaturkopie von Tschitti Tschitti Bäng Bäng (Filmheld).

ÖVP-farbener Dampf

Doch diese unförmigen Gebilde produzierten sich vor mir. Sie hielten vor roten Knopflichtern. Dann grummelten und husteten die rollenden Schachteln wie Raucher mit kaputten Schleimhäuten. Wobei sie auch noch ÖVP-farbenen Dampf ausstießen. Aber die ökologischen Fußabdrücke dieser unschuldigen Tage stammten von Riesen mit Schuhgröße 46.

Etwas später identifizierte ich Augen und Kinnpartie (Front) jedes Autos mit dem Antlitz einer meiner Kindergärtnerinnen. Der annähernd eckige Schädelaufbau (Volvo, Ford Capri) gab umso eher den Liebreiz dieser Pädagoginnen wieder, als es sich bei ihnen um Klosterschwestern in Tracht handelte (Bautyp: Herz-Jesu-Orden).

Die Fortschrittlichkeit dieser Tanten Gottes kann ich erst heute ermessen. Eine besonders cholerische empfahl, renitente Schützlinge der Obhut eines waschechten Psychiaters zu überantworten. Leider ist diesem Bündnis von Sigmund Freud mit dem Apostel Petrus dann kein Reformzweig der katholischen Kirche entsprossen.

Rot verhangene Augen

Heutige Autos besitzen zumeist weiche Teiggesichter mit rot verhangenen Augen. Ihre Eigenart hat ihnen der Windkanal ausgetrieben. Man behält kaum mehr ihre Namen. Dafür zeichnen sich heutige Kindergartenpädagoginnen durch eine erhöhte Duldsamkeit aus. Auch sind sie ökologisch viel besser verträglich. Kaum eine raucht mehr in der Öffentlichkeit. (Ronald Pohl, 29.8.2018)