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Bankomaten in Istanbul: Für ihr Geld bekommen die Türken immer weniger. Dem Land drohen wegen der Dollarverschuldung der Unternehmen nun Finanzprobleme.

Reuters / Murat Sezer

Für die türkische Wirtschaft beginnt der heiße Herbst bereits jetzt. Währungsverfall, Inflation und eine wie gelähmt erscheinende Zentralbank bringen die Führung in Ankara nach dem Ende der Sommerpause unter Druck. Die Lira setzte am Mittwoch nach einer längeren Phase der Stabilität in der zweiten Augusthälfte ihren Abstieg fort und näherte sich der Marke von 6,50 für einen Dollar. Die Ratingagentur Moody's hatte zuvor die Bonität der türkischen Großbanken und der führenden Unternehmen des Landes wegen der sich abzeichnenden Schuldenprobleme herabgestuft.

Laut Moody's stützen sich die türkischen Banken auf ein Kapital von 186 Milliarden Dollar (Stand Juni 2018), das in der US-Währung notiert ist. 41 Prozent davon oder 77 Milliarden Dollar müssten innerhalb der nächsten zwölf Monate refinanziert werden.

Düstere Aussicht

JPMorgan zeichnet ein noch düstereres Bild. Laut einer Studie, die am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters vorlag, belaufen sich die Dollar-Verbindlichkeiten der Türkei, die bis Juli 2019 bedient werden müssen, auf 179 Milliarden Dollar. Das entspräche fast einem Viertel der türkischen Wirtschaftsleistung und einem Rekordstand, wie er vor Ausbruch der türkischen Bankenkrise in den Jahren 2000 und 2001 zu beobachten war. Der überwiegende Teil dieser Schulden – 146 Milliarden Dollar – wird von der Privatwirtschaft gehalten.

Der massive Verfall der Lira macht die Refinanzierung für die Unternehmen sehr schwierig. Allein seit Jahresbeginn verlor sie knapp 40 Prozent ihres Werts. Begonnen hat der Abstieg der Währung mit der ersten Wahl des langjährigen Premiers Tayyip Erdoğan zum Staatspräsidenten im Sommer 2014.

Die Abwertungen von Moody's wurden erwartet, nachdem die Ratingagentur Mitte August die Kreditwürdigkeit der Türkei tiefer in den Ramschbereich auf Ba3 herabgestuft hatte. Moody's hatte im Juni mit dem Bewertungsverfahren für die türkischen Banken und Unternehmen begonnen. Dazwischen lag der massive Einbruch der Lira Anfang August, als die US-Regierung Sanktionen wegen des in der Türkei festgehaltenen Pastors Andrew Brunson verhängte. Besondere Risiken sieht die Ratingagentur nun bei der Denizbank, der Isbank sowie bei der kleineren Odea und TSKB.

Solide Bilanzstruktur

Die Abhängigkeit vom türkischen Markt und das Risiko von Finanzierungsproblemen verschlechtert auch die Aussicht für die großen türkischen Unternehmen. Trotz der erklärtermaßen soliden Bilanzstruktur wertete Moody's Holdings wie Koç, Petkim und Yasar oder auch Turkish Airlines ab.

Eine Erhöhung der Leitzinsen wäre die logische, längst fällig gewesene Entscheidung der türkischen Zentralbank (TBM). Der maßgebliche Satz steht bei 17,75 Prozent. Analysten halten eine Anhebung von zehn Punkten für nötig. Geld ist derzeit immer noch billig: Inflationsbereinigt liege der Leitzins bei gerade einmal 1,9 Prozent. Dass die Zentralbank diesen Schritt nicht setzt, gilt Marktbeobachtern als Beweis dafür, dass sie politisch nun unter der Kontrolle Erdoğans steht. Dieser lehnt eine Zinserhöhung ab, weil sie den Konsum drosselte und – unter den nunmehrigen Umständen – in eine Rezession führte. Die TBM griff im Gegenteil den Banken unter die Arme und verdoppelte am Mittwoch das Limit für Übernachtanlagen.

Der nächste Termin für die Sitzung des Gouverneursrats der TBM ist der 13. September. Marktbeobachter glauben, dass Präsidentenpalast und Zentralbank versuchen werden, eine Entscheidung über die Leitzinserhöhung noch bis dahin hinauszuschieben. Finanzminister Berat Albayrak, der auch Erdoğans Schwiegersohn ist, stellte am Mittwoch in Abrede, dass es überhaupt ein Problem gebe. "Wir sehen kein großes Risiko für die türkische Wirtschaft oder das Finanzsystem", sagte er Reportern. (Markus Bernath, APA, 29.8.2018)