Wien – Böse Überraschung für Eltern mit behinderten Kindern: Ohne Vorwarnung war ihnen in den vergangenen Wochen die erhöhte Familienbeihilfe gestrichen worden. Dabei geht es um einen Betrag von 379,40 Euro pro Monat. Die Kürzung erfolgte ohne politische Absicht, aber auf solider Rechtsgrundlage: Zwei Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs aus den Jahren 2013 und 2016 waren von den zuständigen Beamten umgesetzt worden.

Für Kinder und Jugendliche mit Behinderung ist ohne Vorankündigung die erhöhte Familienbeihilfe in der vergangenen Woche gestrichen worden.
ORF

Bescheide werden nicht exekutiert

"Die Konsequenzen der Verwaltungsgerichtshof-Erkenntnisse ist für uns nicht hinnehmbar. Wir lassen das so nicht zu. Eine Schlechterstellung von behinderten Kindern wird es mit uns nicht geben. Wir arbeiten intensiv an einer raschen Reparatur des Gesetzes. Die bereits ausgestellten Bescheide werden weder exekutiert noch eingemahnt werden. In diesem Zusammenhang kommt es zu keiner Ausstellung neuer Bescheide seitens der Finanz", sagte Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) zu den überfallsartigen Kürzungen.

Die Gerichtserkenntnisse besagen, dass Personen, deren Lebensunterhalt überwiegend durch die öffentliche Hand sichergestellt ist, keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Diese Rechtsauslegung wurde bisher ignoriert, behinderte Menschen bekamen weiter die erhöhte Familienbeihilfe bezahlt. Das hat sich nun aber unangekündigt geändert. "Menschen mit Behinderungen, die unter anderem deshalb gezwungen sind, öffentliche Leistungen in Anspruch zu nehmen, weil sie für ihre Arbeit in Einrichtungen und Betrieben der Behindertenhilfe nur geringfügige Taschengeldzahlungen erhalten, soll nun auch noch die Familienbeihilfe gestrichen werden. Ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben wird so kaum noch finanzierbar sein", kritisierte der Vorsitzende der Länderkonferenz der Ombudsstellen für Menschen mit Behinderungen, Siegfried Suppan.

Warum diese Vorgaben erst jetzt und ohne Vorankündigung exekutiert wurden, war vorerst nicht zu eruieren. Aus dem Ministerium habe es jedenfalls keine entsprechende Order gegeben – dafür wurde umgehend eine Kehrtwende eingeleitet.

SPÖ befürchtet weitere Ungerechtigkeiten

Birgit Sandler, SPÖ-Bereichssprecherin für Menschen mit Behinderung und SPÖ-Familiensprecherin, erwartet von Familienministerin Bogner-Strauß die angekündigte rasche gesetzliche Reparatur sowie die umgehende Anweisung an die Finanzämter, die erhöhte Familienbeihilfe für Kinder mit Behinderung weiter auszuzahlen. Und sie warnt vor einer weiteren Verschlechterung, die auf Eltern behinderter Kinder zukommen könnte – nämlich für jene, deren Kinder in einer Einrichtung, etwa betreutem Wohnen, sind. Auch für diese könnte es dazu kommen, dass die erhöhte Familienbeihilfe gestrichen wird.

Derzeit ist es so, dass Eltern behinderter Kinder, die etwa unter der Woche in einer Einrichtung sind, dann die erhöhte Familienbeihilfe bekommen, wenn sie von der Einrichtung eine Bestätigung haben, dass sie ihre Kinder an zwei Wochenenden im Monat bei sich zu Hause haben.

Kosten müssten nachgewiesen werden

"Es ist gerecht, dass es auch in diesem Fall die erhöhte Familienbeihilfe gibt, weil für diese Familien ja trotzdem höhere Kosten entstehen, auch wenn das Kind nur am Wochenende daheim ist – etwa für ein Pflegebett, barrierefreien Wohnraum, therapeutisches Material etc.", argumentiert Sandler. Hier sei nun offenbar eine Änderung geplant.

Die Finanzämter wurden angewiesen, konkrete Rechnungen zu verlangen, die den finanziellen Aufwand für das Kind nachweisen. "Wenn die Rechnungen nicht die erhöhte Familienbeihilfe abdecken, kann es dann sogar zur völligen Streichung kommen. Es liegt dann im Ermessen des Finanzbeamten, ob dieses Kleidungsstück, jenes Paar Schuhe oder Spielzeug eine gerechtfertigte Ausgabe ist", befürchtet Sandler. "Wird diese Anweisung nicht zurückgenommen, würde das für Eltern behinderter Kinder eine massive Verschlechterung bedeuten. Vor allem für Alleinerzieherinnen wäre das eine finanzielle Katastrophe." Sandler erwartet sich von Finanz- und Familienministerium nun rasche Aufklärung, ob diese Änderung geplant war. "Wenn ja, muss das ebenso sofort repariert werden!", fordert sie. (red, APA, 29.8.2018)