Galt als Doyen der österreichischen Fotografie: Erich Lessing.

Foto: Heribert Corn

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Als Chronist des 20. Jahrhunderts schuf Erich Lessing ikonografische Dokumente: Nachkriegsalltag als intimer Moment visualisierter Zeitgeschichte.

Foto: Erich Lessing/Picturedesk

Weltpolitik: Westdeutschlands Kanzler Konrad Adenauer und Frankreichs Hochkommissar in Deutschland André-Francois Poncet spazieren Richtung Eiffelturm in Paris, 1951.

Foto: Erich Lessing/APA

Berühmt wurde der Fotograf Erich Lessing durch Schwarz-Weiß-Reportagen aus dem Wien der Nachkriegszeit, durch seine Serie von der Unterzeichnung des Staatsvertrags und seine exzentrischen Perspektiven. Die Staaten des damaligen Ostblocks bereiste der seit 1951 für die renommierte Agentur Magnum Tätige lange bevor sich andere dafür interessierten. Sein humanitärer Ansatz lieferte dabei stets den philosophischen Überbau. Und wer damals seine hintergründigen, den Alltag und die Atmosphäre zeigenden Sequenzen über Berlin, Budapest und Prag gesehen hat, konnte weder vom Ungarn-Aufstand noch vom Bau der Berliner Mauer noch vom Prager Frühling überrascht sein.

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Seine Porträts von Politikern wie Nikita Chruschtschow, Golda Meir, Bruno Kreisky, Charles de Gaulle, Leopold Figl und Konrad Adenauer oder Künstlern wie Herbert von Karajan und dem befreundeten Helmut Qualtinger zählen längst zum kollektiven Gedächtnis. Dabei betonte der bis zuletzt im Unruhezustand gewesene Fotograf immer wieder, dass nicht die Berühmten, die Mächtigen, wichtig waren, sondern die normalen Menschen und ihre Schicksale.

Helmut Qualtinger, fotografiert von Erich Lessing.
Foto: Erich Lessing/lessingimages.com

Taxifahren im Exil

Am 13. Juli 1923 in Wien in eine jüdische Familie geboren, wuchs Erich Lessing in der Wiener Josefstadt auf. Nach dem "Anschluss" Österreichs an Hitler-Deutschland gelang ihm die Flucht nach Israel – während die meisten Mitglieder seiner Familie zurückblieben und dem Holocaust zum Opfer fielen.

Mithilfe von Teddy Kollek, dem späteren Bürgermeister von Jerusalem, erreichte er an Bord des letzten Schiffes, das 1939 in Palästina anlaufen konnte, das Exil. Lessing hielt sich als Taxifahrer über Wasser. Dabei lernte er die Musiker Felix Weingartner und Bronislaw Hubermann kennen – und er schloss Freundschaft mit Gerhard Bronner, der in Haifa als Barpianist arbeitete. Von ihm erhielt Lessing Klavierunterricht. "Sinnlos", wie er selbst rückblickend meinte.

Mancher Weg verlor sich, manche Pfade kreuzten sich wieder, etliche Bande hielten ein Leben lang. Oscar Bronner beispielsweise wurde ein paar Stunden nach seiner Geburt von Lessing aus dem Spital in Haifa nach Hause chauffiert, wie er 2013 im Parlament in Anwesenheit des Herausgebers des STANDARD preisgab. Das damals präsentierte Buch über 25 Jahre DER STANDARD stammt von seinem "Lieblingsschüler", dem STANDARD-Fotografen Matthias Cremer.

Zufällig ergab sich in Israel für Lessing das Angebot, als Strand- und Kindergartenfotograf zu arbeiten, zudem wurde er Fahrer für die britische Armee und pendelte zwischen Beirut, Bagdad, Täbris und Tel Aviv.

Reporter bei Magnum

Nach dem Kriegsende kehrte er nach Wien zurück und lernte seine spätere Frau kennen, die bei Associated Press als Journalistin arbeitete, als er sich dort als Fotoreporter bewarb. Die Tätigkeit bei der Agentur führte Lessing rund um den Globus. 1951 wurde er durch die Aufnahme bei der Agentur Magnum geadelt, dem Olymp der internationalen Fotoagenturen der damaligen Ära. Es war die Ära der großen Bildreportagen und der Magazine, die dies in epischer Breite publizierten. Als Kollege von Henri Cartier-Bresson, Robert Capa, David Seymour und Ernst Haas zählte er zu den Instanzen fotografischer Ästhetik, kombiniert mit einem soziologischen Auge und hohem Maß an Integrität.

Erich Lessing sprach vom "Festhalten der Zeit", wenn er die Fotografie reflektierte. Dass er in seiner Arbeit oft zur rechten Zeit am rechten Ort war, stellte er mit Augenzwinkern infrage: "Ein bisschen Glück" gehöre dazu.

Anfang der 1960er-Jahre hatte Lessing sich der Dokumentation von Kunst und Kultur zugewandt, erhellend wurde hierbei seine Beschäftigung mit antiken Mythen und jenen des Judentums. Zudem fotografierte er jahrelang auf diversen Filmsets. Dokumente dieser Periode sind Aufnahmen von Gregory Peck in Moby Dick, Anthony Quinn in Alexis Sorbas, Julie Andrews in der Trapp-Saga Sound of Music, John Huston als Regisseur von Freud oder Omar Sharif in Doktor Schiwago.

Nachlass von 60.000 Aufnahmen

In Ermangelung eines österreichischen Fotomuseums eröffnete er im Alter von 88 Jahren eine eigene Galerie. Zwei Jahre später vermachte er der Österreichischen Nationalbibliothek sein mehr als 60.000 Aufnahmen umfassendes Archiv. Mehr als 60 Bücher legen Zeugnis seines Schaffens ab. In den letzten Jahren jedoch, da war Lessing immer ohne Kamera unterwegs. "Man muss nicht alles fotografieren, man kann es auch so in Erinnerung bewahren."

Ein anderer Satz beschreibt, was Philosophie, Menschlichkeit und Credo hinter dem Chronisten der Gegenwart ausmachten: "Was mich an allen Fotos, die ich gemacht habe, aber am meisten interessiert, ist das, was nach dem Moment der Aufnahme passiert ist, was aus den Menschen wurde." Am Mittwoch ist Erich Lessing im Alter von 95 Jahren in Wien gestorben. (Gregor Auenhammer, 29.8.2018)