Es war vor den Wahlen 2014, da appellierte der damalige konservative Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt angesichts der bereits starken Flüchtlingsströme an seine schwedischen Landsleute, ihre "Herzen für die Notleidenden zu öffnen". Ein Appell, der in der politischen Landschaft weitgehend auf Beifall traf, gehörte eine großzügige Asylpolitik doch seit Jahrzehnten zu den Grundpfeilern des schwedischen Selbstverständnisses.

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Jimmie Åkesson von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten holt zum Schlag gegen den sozialdemokratischen Premier Stefan Löfven aus. Der kann sich kaum verteidigen.
Foto: Imago/Kamerapress, AP / Geert Vanden Wijngaert

Jetzt, vier Jahre später und nur wenige Tage vor der nächsten Wahl zum Reichstag, beherrschen ganz andere Töne die Debatte. "Wir brauchen eine strengere Asylpolitik, sonst geht Schweden kaputt", sagt der konservative Oppositionsführer Ulf Kristersson, und die sozialdemokratische Finanzministerin Magdalena Andersson beschwört Flüchtlinge und Migranten, sich andere Zielländer zu suchen: "Der Sozialstaat kommt an seine Grenzen."

Um die Wählergunst buhlen beide großen Parteien mit dem Ruf nach harten Bandagen in Sachen Migration – härteren noch als jenen, die unter der rot-grünen Koalition seit 2015 eingeführt worden sind. Bis dato hatte sich Schweden gerühmt, im Verhältnis zur Bevölkerungszahl so viele Flüchtlinge aufgenommen zu haben wie kein anderes Land in Europa.

Eingeständnis unter Tränen

Die Wende markierte auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 eine historische Pressekonferenz: Premier Stefan Löfven und eine weinende damalige Grünen-Chefin Åsa Romson räumten die Überforderung des Landes ein und avisierten erste Maßnahmen, um den Ansturm der Asylsuchenden zu bremsen.

Im Juli 2016 wurde ein neues Asylgesetz eingeführt, das die Rechte von Asylbewerbern auf EU-Mindeststandards stutzt. So werden Aufenthaltserlaubnisse – außer für Quotenflüchtlinge – nur noch befristet für maximal drei Jahre erteilt; die Familie nachholen dürfen nur permanent Aufenthaltsberechtigte, die eine Arbeit nachweisen können. Das Gesetz gilt zunächst bis zum kommenden Sommer. Die Sozialdemokraten wollen es danach verlängert sehen, der grüne Koalitionspartner lehnt dies ab.

Zur Wahl gehen die Sozialdemokraten mit dem erklärten Ziel, die Asylbewerberzahlen weiter zu drosseln. "Schweden soll im Rahmen der EU seinen Teil beisteuern, aber nicht mehr", betont Ministerpräsident Löfven.

27.000 Asylsuchende aufgenommen

Im vergangenen Jahr hat Schweden 27.000 Asylsuchende aufgenommen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl von zehn Millionen seien das immer noch zu viele – stattdessen wären 14.000 angemessen gewesen, so Migrationsministerin Heléne Fritzon.

Im Wahlprogramm setzt man nun verstärkt auf Abschiebungen. Nicht zuletzt um diese zu erleichtern, sollen Asylsuchende künftig vor allem in großen Empfangszentren unterkommen. Die Möglichkeit, nach einem negativen Bescheid eine Arbeitserlaubnis zu beantragen, soll eingeschränkt werden, und eine Teilhabe abgelehnter Asylbewerber am Sozialstaat – zum Beispiel den Bezug von Sozialhilfe – will man grundsätzlich unterbinden.

Für ihren restriktiven Kurs erhält die Regierungspartei ausdrücklich Beifall von den Konservativen. Zudem kommt sie damit laut Umfragen dem Gros der Wähler entgegen. Viele wünschen sich aber offenbar noch härtere Maßnahmen: Laut einer Umfrage des Instituts Skop von Mitte August halten nur 15 Prozent der Befragten die sozialdemokratische Mi grationspolitik für die beste. Den Spitzenplatz mit 31 Prozent belegen die rechten Schwedendemokraten unter Jimmie Åkesson mit ihrer Politik nahezu vollständiger Abschottung.

Offenkundige Missstände

Die seit Jahren offenkundigen Missstände im Bereich der Integration bereiten vielen Schweden Sorgen; ihre Benennung war aber lange ein Tabu. Akuter Wohnungsmangel, religiöse Radikalisierung und Kriminalität unter Migranten sowie die unzureichende Einbindung von Neuankömmlingen in den Arbeitsmarkt haben sich indes zu immer drängenderen Problemen ausgewachsen. Mittlerweile räumen Spitzenpolitiker von Regierung wie Opposition ein, dass die Integrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte weitgehend gescheitert ist.

Auch über den Wahltag hinaus birgt das Thema Migration reichlich Konfliktstoff – nicht zuletzt bei der Regierungsbildung. Eine Fortführung der rot-grünen Koalition gilt angesichts der großen Differenzen als unwahrscheinlich.

Düstere TV-Doku aus Moskau

Für Aufregung sorgte indes eine TV-Dokumentation des Kreml-nahen Senders Russia Today, in der ein düsteres Bild Schwedens vor der Wahl gezeichnet wird. Der Russland-Experte Gerhard Mangott bezeichnet die Sendung laut ORF.at_als klaren Versuch Russlands, vor der Wahl gezielt Stimmung zu machen. (Anne Rentzsch aus Stockholm, 30.8.2018)