Der Verlag Random House hat Thilo Sarrazins Manuskript zu "Feindliche Übernahme" abgelehnt. Das Buch erscheint jetzt im Finanzbuchverlag.

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August 2010 erschien in Deutschland ein Buch, das sogar die Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer Reaktion provozierte. Es sei "nicht hilfreich", was Thilo Sarrazin in Deutschland schafft sich ab geschrieben habe. Merkel hatte die ausführlichen Einlassungen des früheren Finanzsenators von Berlin allerdings nicht gelesen, sondern bezog sich auf das enorme Echo, das Sarrazin auslöste. In vielerlei Hinsicht waren damals schon die Konstellationen existent, die sich in Deutschland nach der Flüchtlingskrise von 2015/16 und mit der Etablierung der AfD verhärtet haben.

Der intellektuellen Öffentlichkeit stieß vor allem auf, wie offenkundig Sarrazin sich als Bevölkerungspolitiker betätigte: In einem Land, das gerade erst einen kritischen Begriff von Biopolitik gelernt hat (und das bei Bevölkerungspolitik aus gutem Grund zuerst an die Menschheitsverbrechen im Nationalsozialismus denkt), war die offensive Rede von der künftigen "Qualität der Erwerbstätigen" anstößig. Denn zugespitzt sagte Sarrazin ja, dass deutschen Facharbeiterstellen irgendwann vor allem bildungsferne Türken aus Clans gegenüberstehen könnten, in denen durch "Inzucht" eher Behinderungen als Begabungen entstehen.

Deutschland schafft sich ab war ein riesiger Verkaufserfolg, und so konnte Sarrazin sich seither – neben drei weiteren Büchern, darunter einem über den Euro – in Ruhe seinen weiteren Studien widmen. Genau acht Jahre nach dem 30. August 2010 sollte dieses Jahr in der Deutschen Verlagsanstalt (DVA) die Fortsetzung erscheinen: eine eingehendere Auseinandersetzung mit dem Islam, von Sarrazin in einem Blogeintrag auf der rechten Webseite Tichys Einblick auch als "Schlussstein" in seinem "Denkgebäude" ausgewiesen.

Zum anderen Verlag

Das Datum, an dem Sarrazin sehr gelegen ist, wurde eingehalten, allerdings erscheint Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht nicht in dem Publikumsverlag DVA aus dem Konzern Random House, sondern beim Finanzbuchverlag aus der Münchner Verlagsgruppe. Random House hatte Sarrazins pünktlich geliefertes Manuskript nicht mehr haben wollen und es dem Autor überlassen, sich einen anderen Verlag zu suchen. Obwohl man davon ausgehen muss, dass mit Feindliche Übernahme viel Geld zu verdienen ist, musste Sarrazin zu einem eher marginalen Haus ausweichen.

Thomas Rathnow, Chef von Random House, sprach in einer Begründung für die "Abweisung" (Sarrazin) von einer "religionsdeterministischen Perspektive" auf den Islam. Das ist ein sperriger Begriff, der sich aber nach der Lektüre nachvollziehen lässt. Sarrazin versucht, sich als "verständiger Laie" einen Begriff von einer der drei monotheistischen Religionen zu machen. Dass der Islam, wie der Untertitel behauptet, "den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht", verweist schon auf ein strukturelles Problem des Buchs: Denn die Behinderung des Fortschritts bezieht sich vor allem auf die Länder, in denen Muslime die Bevölkerungsmehrheit bilden.

Die Bedrohung bezieht sich aber auch auf Deutschland oder Europa, und auf etwas, was Sarrazin "unser Lebensmodell" oder "ein bestimmtes Zivilisationsmodell" nennt. Das Gelenk, das die beiden Aspekte verbindet, ist der Komplex, den Sarrazin konsequent "Zuwanderung" nennt. Dass es berechtigte Fluchtmotive geben könnte, lässt seine Sichtweise nicht zu. Globale Gerechtigkeitsaspekte wischt er beiseite: "Guter Rat ist das Einzige, was wir (für arme Länder) tun können."

Religionsdeterministisch ist das Islam-Bild, das Sarrazin entwickelt, da er aus seiner Beschäftigung ein allzu eindeutiges Urteil ableitet: Er verbindet den Islam vor allem mit "Borniertheit, Mangel an Wissbegier, Abwehr und Unterdrückung von Frauen". Die damit einhergehende oder daraus ableitbare hohe Geburtenrate unter Muslimen führt zu einer "allmählichen demografischen Überwältigung durch den Islam". Dabei jongliert Sarrazin leger mit historischen Zeiträumen: Seit 800 Jahren bleibt die islamische Welt schon hinter der Entwicklung des europäischen Zivilisationsmodells zurück. Seit 50 Jahren gibt es einen "Drang der Muslime in die Gesellschaften der Ungläubigen", "in wenigen Jahrzehnten" könnten sie hier die Mehrheitsbevölkerung ausmachen.

Bedenkliche Engführung

Man kann den Islam zweifellos so sehen, wie Sarrazin ihn sieht. Dass er sich mit der Religion nur am Rande beschäftigt, dass er bedeutende deutsche Islam-Deuter wie Annemarie Schimmel oder Thomas Bauer (einen der scharfsinnigsten Religionswissenschafter) übergeht, ist letztlich nicht entscheidend. Und in konkreten politischen Fragen sind Sarrazins suggerierte Vernunftansprüche immer wieder plausibel: Natürlich müssen Länder wie Deutschland oder Österreich alles dafür tun, dass die muslimischen Institutionen zu einem Islam beitragen, der sich dem "Zivilisationsmodell" nicht entzieht. Das eigentlich Anstößige an Sarrazins Islam-Bild liegt auf einer anderen Ebene: Er formuliert de facto im Namen der Aufklärung, steht aber für eine bedenkliche Engführung dieser Aufklärung.

Statistiken sind zweifellos wichtig, aber die Dynamiken von Gesellschaften sind ergebnisoffen, und Abweichungen von Referenznormen lassen sich korrigieren. Zwischen dem Koran oder den frühen Kalifaten und dem "Islamischen Staat" schließt sich weder "historisch" noch "religionsphilosophisch" ein "Kreis", sondern es zeigen sich Momente einer langwierigen Geschichte, von der Sarrazin viele Aspekte unterbewertet. Bei ihm drängt ein biologisierter Islam nach Europa, während er koloniale Aspekte der europäischen und amerikanischen Machtexpansion weniger wichtig nimmt.

Man spürt, dass der Islam im Grunde gar nicht sein eigentlicher Gegner ist, sondern dass er sich vor allem gegen jene Ausprägungen offener Gesellschaften wendet, die den Islam – wie jede Weltreligion eine Mischung aus Glaubenswahrheiten und kulturellen Bedingungen – nicht ausschließen wollen. Das ist aber letztendlich die einzige konsequente "Lösung", die Sarrazin bietet: Wenn Europa sich nicht abschaffen will, müsse es sich vom Islam in seiner Gesamtheit trennen. Damit vollzieht er die "Zwangsverheiratung mit der Islam-Kritik", die er sich mit Deutschland schafft sich ab eingehandelt hat, und macht daraus eine Liebesheirat. Trauzeuge ist dabei eine nationale Rechte, der es keineswegs um ein Zivilisationsmodell geht, sondern um Identitätsmodelle, die auf Feindbildern beruhen. (Bert Rebhandl, 30.8.2018)