Aleksandar Vučić (Serbien) und Hashim Thaçi (Kosovo) im Gespräch beim Forum Alpbach.

Foto: Forum Alpbach / Andrei Pungovschi

Vor einigen Wochen ist bekannt geworden, dass es in der Kosovo-Frage möglicherweise einen Durchbruch im langjährigen Dialog zwischen Belgrad und Prishtina geben könnte. Diese Nachricht hat zu einer kontroversen Diskussion über eine mögliche Einigung geführt, zumal die Dämonen eines neuerlichen ethnischen Konfliktes heraufbeschworen wurden.

Worum geht es? Gestützt auf die Uno-Resolution 1244 aus dem Jahr 1999 betrachtet Serbien den Kosovo noch immer als Teil Serbiens. Dennoch hat sich Belgrad vor Jahren entschlossen, im von der EU geleiteten Dialog mit Prishtina an einer Normalisierung der Beziehungen zu arbeiten. Dies ist eine Voraussetzung für den EU-Beitritt Serbiens, dessen Verhandlungen bereits weit fortgeschritten sind.

Prishtina wiederum kämpft um die internationale Anerkennung ihrer 2008 einseitig erklärten Unabhängigkeit. Selbst fünf der 28 EU-Mitglieder haben bislang den Kosovo nicht diplomatisch anerkannt, unterstützen aber Vermittlungsbemühungen Brüssels.

Das allein führt zu keiner endgültigen Lösung dieses letzten großen historischen Konflikts auf dem Balkan – jenes zwischen Serben und Albanern, der seit über 200 Jahren in den Schluchten des Balkans und auf den Ebenen des Amselfeldes ausgetragen wird. Dieser Konflikt ist seit Jahren in Geiselhaft Russlands, das mit seinem Veto im UN-Sicherheitsrat eine endgültige Lösung blockiert. Moskau ist jedoch bereit, seinen Widerstand gegen die Anerkennung des Kosovo als Vollmitglied der internationalen Staatengemeinschaft aufzugeben, sobald Belgrad damit einverstanden ist.

Kompromiss

Es ist somit klar, dass ohne Belgrads Bereitschaft, einem umfassenden Kompromiss mit Prishtina zuzustimmen, im Kosovo ein permanenter – eingefrorener – Konflikt inmitten des Kontinentes bestehen bleiben würde. Keine guten Aussichten für den Kontinent angesichts der sich häufenden europäischen wie globalen Herausforderungen.

Die geopolitische Lage in Südosteuropa unterscheidet sich angesichts der massiven Konkurrenz Chinas, Russlands, der Türkei und der Golfstaaten grundlegend von jener während der jugoslawischen Zerfallskriege der 1990er-Jahre – Europa kann sich nicht mehr auf eine Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft im Konfliktfall verlassen. Dass ein lokaler Unruheherd ziemlich rasch zu einem gesamteuropäischen Sicherheitsrisiko werden kann, sollte darüber hinaus spätestens seit der Flüchtlingskrise von 2015 offensichtlich sein.

Nun aber scheinen die beiden Kontrahenten Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi kompromissbereit; eine Lösung ist in Reichweite. Freilich hat dieser Vorschlag einen großen Haken: Er enthält als zentrales Element territoriale Veränderungen, einen Gebietsaustausch zwischen den beiden Nachbarn, der sich an ethnischen Kriterien orientiert und einige hundert Quadratkilometer – und tausende Menschen beider Ethnien – betreffen könnte. Der Aufschrei – in Serbien, im Kosovo und international – kam prompt und hat gute Gründe.

Sezessionskriege

Tatsächlich weckt der Vorschlag Erinnerungen an die jugoslawischen Sezessionskriege, deren oberstes Ziel die brutale ethnische Konsolidierung der jeweiligen Territorien gewesen ist. Wir kennen das Resultat. Sieht man einmal von Slowenien ab, so sind trotz "ethnic cleansing" die Nachfolgestaaten Jugoslawiens multiethnisch geblieben. An dieser Tatsache würde auch ein Gebietsaustausch zwischen Serbien und dem Kosovo nichts ändern.

Daher könnte man sich fragen: warum dann das Ganze? Nun, das müssen die politisch Verantwortlichen in Belgrad, Prishtina und Brüssel beantworten. Daher ist besonders an die beiden Politiker die Forderung nach einer rechtzeitigen Information und Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger zu richten. Der EU – namentlich Federica Mogherini als Chefunterhändlerin – fällt die schwierige Aufgabe zu, diesen Prozess zu einem für alle tragbaren Kompromiss zu führen.

Die EU fordert seit Jahren Eigenverantwortung und die Lösung der offenen Fragen durch die lokale Politik ein – ich selbst habe das Konzept der lokalen Ownership in Bosnien mit fragwürdigem Erfolg eingeführt. In Bosnien hat die von außen aufgezwungene Lösung nicht zur Übernahme von Verantwortung für die Res publica geführt. Hier kommt interessanterweise Hilfe aus Serbien. Seit längerem bereits hat Belgrads starker Mann der Sezessionsrhetorik des bosnisch-serbischen Präsidenten eine glatte Absage erteilt – zuletzt beim Europäischen Forum Alpbach.

In Mazedonien hingegen hat der Regierungswechsel einen Durchbruch gebracht. Dort wurde der über ein Vierteljahrhundert glosende Konflikt mit Griechenland um den Landesnamen dank des persönlichen Engagements der beiden Premiers Zaev und Tsipras praktisch gelöst. Es ist zu hoffen, dass das Referendum am 30. September den neuen Namen Republik Nord-Mazedonien bestätigt.

Selbst Montenegro und der Kosovo konnten sich erst kürzlich auf Grenzkorrekturen einigen.

Pragmatismus

Jetzt aber gilt es diesen neuen Pragmatismus auf den Kosovo zu übertragen und den möglichen Kompromiss – wenngleich er uns nicht gefallen mag – voll zu unterstützen. Damit würde auch die Verantwortung der beiden Staaten für das Gelingen der Umsetzung – ohne Rückfall in alte Aggressionsmuster – klargestellt. Serbien und der Kosovo wären nicht länger Teil des europäischen Problems, sondern könnten sich ihren eigentlichen Aufgaben zuwenden.

Für Serbien würde dies die erfolgreiche Überwindung der schwierigsten Hürde auf dem Weg in die EU-Mitgliedschaft bedeuten; für den Kosovo die ersehnte UN-Mitgliedschaft, die Visafreiheit und den Beweis für die Aktionsfähigkeit dieses jungen Staates.

Für Europa aber wäre dies der Nachweis der eigenen Problemlösungskapazität. Und Österreichs EU-Präsidentschaft würde es gut anstehen, im November 2018 – hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges – das Ende des balkanischen Konfliktbogens mit einer von allen Beteiligten unterzeichneten verbindlichen Erklärung zu begehen.

Diese könnte die noch ausstehenden kleineren Grenzkorrekturen, etwa zwischen Serbien und Bosnien bzw. Kroatien und Montenegro, aber auch zwischen Slowenien und Kroatien, ebenso umfassen wie eine Bekräftigung der Souveränität und territorialen Integrität Bosniens. Damit könnte die strapazierte Brückenbauer-Floskel endlich Relevanz gewinnen. (Wolfgang Petritsch, 29.8.2018)