Wien – Bei der Vergabe von Sozialwohnungen haben Menschen, die schon lange in Wien leben, bereits jetzt einen Vorteil gegenüber kürzlich Zugewanderten: Sie werden auf der Warteliste weiter vorn gereiht. Dieses Modell will Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) auf den Arbeitsmarkt in der Bundeshauptstadt ausweiten.

So sollen dort, wo die Stadt als Arbeitgeber auftritt, Personen bevorzugt werden, die schon einige Jahre in Wien leben. "Wir überprüfen gerade alle EU-rechts konformen Möglichkeiten im Bereich der Wirtschaft und im Arbeitsmarkt", sagte Ludwig im Interview mit dem STANDARD.

Michael Ludwig im STANDARD-Interview: "Wir wollen nicht, dass Kinder im Kindergarten Kopftuch tragen. Die Frage ist, ob das quantitativ ein Problem ist."
Heribert Corn

Für die Mindestsicherung schlägt er eine österreichweite Basisfinanzierung vor. Je nach Mietpreissituation vor Ort soll es entsprechende Zusatzleistungen geben. Ob der Sockelbetrag geringer als derzeit ausfallen soll, "sehe ich noch als Verhandlungssache".

Beim Thema Kopftuchverbot in Kindergärten rechnet Ludwig damit, dass es in letzter Konsequenz zu einem Verbot kommen wird. Die Bund-Länder-Vereinbarung, die die Bundesregierung vorgelegt hat, sei aber "so unausgegoren, dass man schwer dazu Stellung nehmen kann". Mit den SPÖ-geführten Ländern Wien, Burgenland und Kärnten sei nicht gesprochen worden.

100 Tage im Amt

An diesem Wochenende ist Ludwig 100 Tage im Amt. Eine erste Zwischenbilanz wird nicht im Büro, sondern im Roten Salon im Rathaus gezogen. Als bewusste Abgrenzung von Vorgänger Michael Häupl will Ludwig die Wahl der neuen Interviewräumlichkeit nicht verstanden wissen. Das habe pragmatische Gründe, sagt Ludwig. "Im Büro findet eine große Sitzung statt."

STANDARD: Unter Ihrer Ägide wurde das Alkoholverbot am Praterstern eingeführt. Das Essverbot in der U6 gilt ab Samstag. Wo wollen Sie noch nachschärfen?

Ludwig: Wir leben in einer freien Gesellschaft, das ist gut so. Aber individuelle Freiheiten dürfen nicht die Freiheiten anderer einschränken. Wenn ungeschriebene Gesetze an Bedeutung verlieren, muss man als Ausgleich das eine oder andere in Erinnerung rufen.

STANDARD: Wird es weitere Verbote geben?

Ludwig: Im Augenblick sehe ich keinen Bedarf. Es wird aber vielleicht da und dort noch notwendig werden.

STANDARD: Kommt die Bund-Länder-Vereinbarung zur Kinderbetreuung, muss auch Wien ein Kopftuchverbot in Kindergärten umsetzen. Sind Sie dafür?

Ludwig: Das, was vorliegt, ist so unausgegoren, dass man schwer dazu Stellung nehmen kann. Die Bundesregierung hat es bis jetzt nicht der Mühe wert gefunden, mit den SPÖ-geführten Bundesländern Wien, Burgenland und Kärnten Kontakt aufzunehmen.

STANDARD: Ihre Parteimanagerin Barbara Novak sprach sich für ein Kopftuchverbot in Bildungseinrichtungen aus, Stadtrat Jürgen Czernohorszky äußerte sich sehr skeptisch. Wann gibt es eine gemeinsame Linie der Wiener SPÖ?

Ludwig: Es gibt eine klare Meinung: Wir wollen nicht, dass Kinder im Kindergarten Kopftuch tragen. Es ist nur eine Frage, ob das quantitativ überhaupt ein Problem ist. Die Regierung ist hier eine Analyse schuldig. Mit PR-mäßigen Überschriften und einer Message-Control der Bundesregierung werden null Probleme gelöst.

STANDARD: In der U6 gilt künftig ein Essverbot, es wird aber nicht mit Strafen sanktioniert. Wäre das eine Möglichkeit beim Kopftuchverbot?

Ludwig: Ich bin dafür, zuerst das Gespräch zu führen und erst dann zu strafen – vor allem bei Kindern. Erst in allerletzter Form sollte gestraft werden.

STANDARD: In letzter Konsequenz wird es also doch ein Kopftuchverbot für Kinder im Kindergarten geben?

Ludwig: Ja. Die Frage wird nur auch sein, wie das konkret umzusetzen ist. Da ist die Bundesregierung alle Vorschläge und Rahmenbedingungen bis jetzt schuldig geblieben.

Michael Ludwig: "Ich verstehe dieses Wien-Bashing der Bundesregierung nicht. Das fördert nicht gerade die Solidarität."
Heribert Corn

STANDARD: Sie haben angekündigt, Menschen, die länger in Wien leben, bevorzugt zu behandeln. Bei Sozialwohnungen werden Wiener vorgereiht. Wo soll der Wienbonus noch zum Einsatz kommen?

Ludwig: Jene, die schon länger hier sind, müssen anders behandelt werden als jene, die vor einer Woche hierher gezogen sind. Wir überprüfen gerade alle EU-rechtskonformen Möglichkeiten im Bereich Wirtschaft und Arbeitsmarkt.

STANDARD: Welche Maßnahmen sind das konkret?

Ludwig: Zum Beispiel dort, wo die Stadt als Arbeitgeber auftritt. Wir können aber nicht die Probleme aller Bundesländer lösen. In Wien findet ein Viertel aller in Niederösterreich lebenden Beschäftigten einen Arbeitsplatz. Wien hat eine wichtige Funktion für angrenzende Bundesländer, daher verstehe ich dieses Wien-Bashing der Bundesregierung nicht. Unsere Leistung in Anspruch zu nehmen und über Wien herzuziehen fördert nicht gerade die Solidarität.

STANDARD: Sollen bei der Mindestsicherung langjährige Wiener ebenfalls bevorzugt werden?

Ludwig: Ich bin immer für eine österreichweite Regelung eingetreten. Ich schlage eine Art Basisfinanzierung vor, die aber darauf aufbauend die unterschiedliche Situation, insbesondere bei den Miethöhen, berücksichtigt.

STANDARD: Wird der Sockelbetrag geringer sein als jetzt?

Ludwig: Das sehe ich noch als Verhandlungssache. Die ÖVP-geführten Bundesländer orientieren sich stärker an den Vorstellungen der Bundesregierung.

Michael Ludwig kündigt für 6. September eine Regierungsklausur mit der grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou an. "Für mich ist Maria Vassilakou weiterhin die Ansprechpartnerin."
Heribert Corn

STANDARD: Ihr grüner Koalitionspartner stellt sich neu auf. Rechnen Sie damit, dass Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou erneut für die grüne Nummer eins kandidiert?

Ludwig: Für mich ist Maria Vassilakou weiterhin die Ansprechpartnerin. Ich werde mit ihr am 6. September eine Regierungsklausur durchführen. Wenn sich die Grünen personell anders entscheiden, werden sie mir das zeitgerecht mitteilen. Was ich nicht akzeptieren werde, ist, dass man in der Regierung Oppositionsarbeit betreibt.

STANDARD: David Ellensohn greift in der U-Kommission zum Spital Nord auch die SPÖ an. Ist da für Sie die Linie schon überschritten?

Ludwig: Ellensohn betreibt einen innerparteilichen Wettbewerb. Kritik zu üben ist per se ja noch nicht schlecht. Ich bin an einer lückenlosen Aufklärung aller Rahmenbedingungen interessiert.

STANDARD: Ihr Verhältnis zu Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck ist exzellent. Ist Ihnen die ÖVP näher als die Grünen?

Ludwig: Um allen Spekulationen entgegenzutreten: Wir haben eine aufrechte Koalition mit den Grünen bis 2020. Dann gilt: Zuerst entscheiden die Wähler. Danach wird man schauen, welche Möglichkeiten es rein rechnerisch gibt. Da würde ich jetzt keine Präferenz für eine Koalition ableiten wollen.

Michael Ludwig zum Ausländerthema: "Es ist unbestritten, dass das eine wichtige Herausforderung ist, es ist aber nicht das einzige Thema. Die Fragen des Wirtschaftsstandortes, der Kommunalpolitik, der Gesundheitspolitik sind sehr dringend."
Heribert Corn

STANDARD: Der Burgenländer Hans Peter Doskozil hat das neue Parteiprogramm der SPÖ als "grün-linke Fundi-Politik" bezeichnet. Teilen Sie seine Einschätzung?

Ludwig: Nicht jede Wortmeldung ist gleich umzudeuten in eine Personaldiskussion. Ich sehe keinen Widerspruch zu Christian Kern und der Klimapolitik, sondern dass das unterschiedliche, aber wichtige Themen sind.

STANDARD: Ist für Sie das Ausländerthema auch ein ganz zentrales?

Ludwig: Es ist unbestritten, dass das eine wichtige Herausforderung ist, es ist aber nicht das einzige Thema. Die Fragen des Wirtschaftsstandortes, der Kommunalpolitik, der Gesundheitspolitik sind sehr dringend.

STANDARD: Sie haben kürzlich beim Besuch der Ankerbrotfabrik Einigkeit mit Christian Kern demonstriert. Ist er unangefochten?

Ludwig: Das ist beantwortet. Am 6. Oktober ist Bundesparteitag, da wird der Parteivorstand gewählt. Es gibt nur einen Kandidaten, Christian Kern. (David Krutzler, Rosa Winkler-Hermaden, 30.8.2018)