Der Duden definiert Elite als "eine Auslese darstellende Gruppe von Menschen mit besonderer Befähigung, besonderen Qualitäten." Elite, das sind "die Besten, die Führenden, die Führungsschicht." Ist es also die intellektuelle Elite, die sich drei Wochen lang im wunderschönen Alpendorf Alpbach zusammenfindet, um über die Zukunft Europas zu diskutieren? Und was bedeutet der Elitenbegriff heute eigentlich?
 
Eliten basieren auf Gleichheit
 
Dieser Frage hat sich auch Managing Director des Forums Philippe Narval in einem bis nach Mitternacht dauernden Kamingespräch mit Stipendiatinnen und Stipendiaten gestellt. Einen ersten Definitionsversuch von Elite unternahmen wir bezugnehmend auf den deutschen Soziologen Michael Hartmann. Dieser sieht einerseits das Konzept von "Leistungseliten" kritisch, weil neben Leistung immer auch andere Kriterien wie vorhandenes finanzielles Kapital und damit einhergehende gesellschaftliche Privilegien und Umgangsformen eine Rolle spielen. Besonders in der Wirtschaft werden bevorzugt jene Kandidaten (und zunehmend auch Kandidatinnen) ausgewählt, die "denen, die da schon sitzen" sehr ähnlich sind – das kann Dress- und Benimmcodes betreffen, aber auch das Verhalten in Gesprächen, die Lebenseinstellung und allgemeine Bildung. Besteht die Elite also vor allem aus distinguierten weißen Herren mittleren Alters, so werden es beispielsweise Frauen, Personen mit Migrationshintergrund, jüngere Menschen oder solche mit Behinderungen nicht einfach haben, Teil der Elite zu werden. Elite ist nach Hartmann also bis zu einem gewissen Grad vererbt, geübt und exklusiv. 

Sebastian Kurz und Andrä Rupprechter in den Gärten des Forum Alpbachs.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Kann es diverse Eliten geben?
 
Die unausweichliche Frage des Abends lautete also: Wenn wir die Teilnehmer und Teilnehmerinnen am Europäischen Forum Alpbach als intellektuelle Elite der Zukunft definieren, die Österreich und Europa in den nächsten Jahren und Jahrzehnten prägen wird, wie kann diese Elite durchlässiger, zugänglicher und diverser werden? Könnte es helfen, wenn die weniger Privilegierten ihren eigenen steinigen Werdegang zum Teil ihrer Story machen und gerade daraus Profit schlagen, dass sie schon einmal anpacken und sich auch in schwierigen Situationen durchkämpfen mussten? Oder verkauft man sich dabei selbst? Und wer kann sich überhaupt in die Elite katapultieren? Gibt es nicht aufgrund von strukturellen Ungleichheiten, unterschiedlichen Ausgangspositionen und unaufholbaren Privilegien aufseiten der Eliten gesellschaftliches Gatekeeping, das den ewig Selben Türen öffnet und sie Aufstrebenden verschließt? Wie viel kann der oder die Einzelne wirklich erreichen, wenn er oder sie nicht die dafür nötige Bildung, Zeit und Finanzen hat?
 
Wer kann also am Europäischen Forum Alpbach einen qualitätsvollen Beitrag leisten und wer folgt überhaupt dem Aufruf, sich zu bewerben? Auch wenn es das erklärte Ziel ist, das Forum diverser zu gestalten, so sollen doch Mindeststandards erhalten bleiben. Herzlich willkommen sind Menschen, die eine außergewöhnliche Bereitschaft haben, sich bis spät in die Nacht mit komplexen Themen auseinanderzusetzen und gesellschaftlichen Wandel herbeiführen wollen. Doch wie diese engagierten Menschen auch abseits von formellen Bildungsabschlüssen gesucht und gefunden werden können, ist eine schwierige Frage, für die wir noch keine endgültige Lösung gefunden haben.

Wie können Eliten die Gesellschaft zum Besseren verändern?
 
Wenn wir also davon ausgehen, dass sich in Alpbach die intellektuelle Elite Europas trifft und sie sich auch als solche versteht – wir uns als Elite verstehen – so stellt sich die Frage, wie wir Verantwortung übernehmen und unsere Privilegien dafür nützen können, gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen und die eigenen Reihen durchlässiger zu machen. Entscheidend dafür scheint kritische Selbstreflexion gepaart mit dem Wunsch, selbst immer noch besser zu werden.  
 
Es gilt, spätestens sobald man selbst in Führungsverantwortung ist, Zugangs- und Organisationstrukturen zu überdenken und Menschen mit guten Ideen ungeachtet ihrer Herkunft und ihres Habitus auf Augenhöhe zu begegnen. In Organisationen müssen Vorschläge frei vorgebracht werden können, ohne dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Angst vor den Konsequenzen haben müssen. Dasselbe gilt für Auswahlprozesse: Sie sollten dahingehend verändert werden, dass sie berufliche Qualifikationen abseits von klassischen Bildungsabschlüssen messen. Dieses Engagement hat nicht nur abstrakt gesellschaftstheoretische Gründe, sondern auch ganz praktische: Die wichtigsten gesellschaftlichen Neuerungen und Innovationen kommen von Menschen, die Probleme am eigenen Leib erfahren und zweckdienliche Lösungen für sie gefunden haben. Umso mehr gilt es diese innovativen Menschen von Anfang an ernst zu nehmen!

Nicht zuletzt ist auch politisches Engagement unerlässlich, um strukturelle Veränderungen zu bewirken. Hartmann nennt nicht umsonst unreflektierte Eliten die "Hauptschuldigen am Rechtsruck und Fremdenhass." Statt sich in ihren Privilegien zu suhlen, müssten sie "eine ehrliche Bestandsaufnahme machen und eigene Fehler einräumen." Das heißt nicht zuletzt auch sich politisch zu positionieren und in einer Parteiendemokratie wie Österreich jene Parteien zu unterstützen, die sich für mehr soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und zukunftsfähige Lösungen einsetzen statt dumpfen Populismus zu betreiben, der nur dem eigenen Machterhalt dient.
 
Aber noch einmal zurück nach Alpbach: Ja, dieser interdisziplinäre, motivierende, und außergewöhnlich fordernde Ort ist elitär, doch diese Elite zu definieren, bleibt den am Forum Anwesenden überlassen. Diese Umdeutung von Elite muss zugunsten jener erfolgen, die derzeit hier noch nicht repräsentiert sind. Eine Elite, die die Gesellschaft zum Besseren verändern will, ist selbstreflektiert, bunt, laut und kritisch. Sie nützt ihre Privilegien zum Wohle aller. (Elisabeth Lechner, 31.8.2018)

Zum Thema