Jeder kennt diese Gefühle: den Kummer, wenn man vertraute Menschen oder eine gewohnte Umgebung verlässt; den Schreckmoment, wenn die eigene Sprache nicht verstanden wird und man nicht mehr ist, was man bis dahin geglaubt hat zu sein, weil die neuen Worte im Mund steckenbleiben. In verstärktem Maße sind das auch Erfahrungen von Menschen, die gezwungen sind, ihre angestammten Gebiete auf unbestimmte Zeit aufzugeben, Geflüchtete und Migranten.

Beschreiben wechselseitige Prozesse und schaffen Eigenes: die Schriftstellerinnen und Schriftsteller (von links oben nach rechts unten) Jagoda Marinic, Sasa Stanisic, Herta Müller, Sharon Dodua Otoo, Terézia Mora, Marica Bodrozic, Senthuran Varatharajah, Fatma Aydemir, Oskar Pastior, Olga Grjasnowa.
Fotos: APA (6), EPA, H. Corn, Katja Sämann, Bradley Sacker

Und keiner kann sich neue Orte je aneignen, ohne die Hilfe derjenigen, die sich bereits länger dort befinden. Integration ist ein wechselseitiger Prozess, beide Seiten müssen bereit dazu sein. Seltsam nur, dass die Lust auf Neues und immer mehr davon von Einheimischen erwünscht ist, solange sie Konsumierbares betrifft, seltener jedoch in der Begegnung mit Menschen, die von anderswoher kommen. Außer das, was sie mitbringen, ist essbar, wie syrischer Brotsalat, Hummus, Köstlichkeiten, die wir in Großstädten genießen können, weil Fremde sie für uns zubereiten.

Und je nachdem, wohin es die Köche verschlägt, vermengen ihre Speisen sich mit den Geschmacksvorlieben des Gastlandes und schaffen etwas Eigenes. Das läuft mit Sprachen und Schreibweisen genauso. Wanderungsbewegungen haben einheimische Literaturen angereichert, auch wenn nach einiger Zeit dann Nahtstellen und Verläufe nicht mehr erkennbar waren. So spiegeln sich in der deutschsprachigen Literatur der letzten Dekaden auch vielfache Migrationsgeschichten und -biografien.

So werden die Repressionen kommunistischer Regime in den Werken von Oskar Pastior und Herta Müller spürbar. Als Angehörige der sächsischen Minderheit Siebenbürgens gründet ihre poetische Kraft auch in der Mehrsprachigkeit, mit der sie aufwuchsen. In Pastiors Gedichten fließen Assoziationen und klangliche Ähnlichkeiten von Worten verschiedener Idiome spielerisch ineinander. Gemeinsam mit Herta Müller unternahm er kurz vor seinem Tod eine Reise zum Ort seiner Internierung im russischen Straflager. Pastiors Reisenotizen bildeten schließlich die Grundlage für Müllers Roman Atemschaukel, der die unmenschlichen Bedingungen dort schildert.

Gemischtsprachiges Gebiet

Terézia Mora wiederum wuchs im gemischtsprachigen Gebiet an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich auf, kam 1990 nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs nach Berlin. Obwohl sie sich nicht als Migrantin bezeichnen will, wird ihr Schreiben doch von der Mobilität zwischen Deutsch und Ungarisch bestimmt. Der erste Erzählband ist stilistisch ein Versuch, ungarische Ausdrücke und Bilder ins Deutsche zu bringen. Der Held in Moras erstem Roman Alle Tage ist ein Dolmetscher, der fehlerfrei zehn Sprachen beherrscht, die sich ihm als Folge eines Unfalls verwirren. Im Buch Das Ungeheuer taucht auch eine Ungarin auf. Um ihre Stimme von der ihres deutschen Mannes zu unterscheiden, verfasste Mora den Part der Frau auf Ungarisch und übersetzte den Text schließlich ins Deutsche. Sie nützt das kreative Potenzial eines Sprachwechsels und ist eine hervorragende Übersetzerin ungarischer Autoren.

Dazu kommt eine Generation von Schriftstellern, für deren Aufwachsen der Jugoslawienkrieg prägend war und die diese Geschehnisse in die Wahrnehmung ihrer Leser trägt, wie die wortgewandte und aktivistische Jagoda Marinic oder Sasa Stanisic, dessen Buch Wie der Soldat das Grammofon reparierte aus der Sicht eines bosnischen Kindes über Krieg und Flucht berichtet. Auch er spricht vom produktiven Einfluss der Zweisprachigkeit auf sein Schreiben. Für die in Dalmatien aufgewachsene Marica Bodrozic geht sogar alles Denken über Orte und Zugehörigkeiten von den jeweiligen Sprachen selbst aus. Die Autorin kam als Zehnjährige nach Deutschland und empfindet es als Bereicherung, beim Schreiben mehrere komplexe Zeichensysteme zur Verfügung zu haben. Damit erschafft sie einen eigenständigen poetischen Kosmos, der sich von einem Vergleich zwischen Herkunfts- und Schreibsprache gelöst hat.

Dagmara Kraus hingegen setzt in ihren Gedichten Polnisch, die Sprache ihrer Kindheit, und Deutsch in einen fruchtbaren Austausch. Ihre Eltern flohen, als 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde. Kraus assoziiert in Klängen, Rhythmen und semantischen Bruchstücken: "drei sprachen sind zu groß für deinen mund, mein kind / kau dir an der kruste hier muskeln an, nimm / an floskeln tuste gut daran, te tlusteste zu meiden / ah, das wusstest du schon, na dann". Für ihr Buch das vogelmot schlich mit geknickter schnute verwendete Kraus ein altes Französisch-Lehrbuch und übersetzte die Worte dem Klang nach ins Deutsche.

Viele Nachkommen von türkischen Migranten sind inzwischen hochgebildet und oft politisch engagiert, wie Deniz Utlu, der in seinem Debüt Die Ungehaltenen vom Alltag dieser Generation erzählt. Im Essay über ein fiktives Archiv der Migration, in dem Texte von Gastarbeitern ungelesen verstauben, weil damals niemand von ihren Erfahrungen hören wollte, versucht er, Verbindungen zu diesen verdrängten Erfahrungen zu schaffen. Fatma Aydemir hingegen verhandelt in ihrem Roman Ellbogen Migration, Identität, Gewalt und Wut auf Diskriminierung. Die schwierige Balance zwischen dem Gefühl, in Deutschland weiterhin nicht genug respektiert zu werden, und der diffusen Sehnsucht nach dem Land, aus dem die Eltern stammen, das aber bloße Projektion bleiben muss, bestimmt ihre Protagonisten.

Allmähliche Eingewöhnung

Die Eltern des tamilischen Autors Senthuran Varatharajah mussten während des Bürgerkriegs aus Sri Lanka fliehen und kamen vorerst in einem Asylbewerberheim unter. Er beschreibt im Roman Von der Zunahme der Zeichen die allmähliche Eingewöhnung. Je besser die Kinder sich integrieren, desto mehr entfremden sie sich ihren Eltern. "Die Kinder lernen die Sprache, indem sie fernsehen, die Eltern verharren in der Vergangenheit, in dem sie in die Ferne sehen. (...) Am Anfang hieß es immer: 'Wenn ihr fertig mit der Schule seid, gehen wir zurück.' Später: 'Wenn ihr fertig mit dem Studium seid, gehen wir zurück.' Jetzt: 'Wenn ihr geheiratet habt, gehen wir zurück.' Aber sie blieben, sie bleiben, und sie werden geblieben sein, bis zum Ende."

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Das Projekt "weiterschreiben" gibt es seit 2017: Das Portal für Literatur und Musik aus Krisengebieten (www.weiterschreiben.jetzt) lässt Menschen, über die wir sonst lesen, endlich selbst zu Wort kommen. Die Arbeit in den "Tandems" nimmt unterschiedliche Formen an: Widad Nabi und Annett Gröschner (links) gehen miteinander durch den Prenzlauer Berg auf Spurensuche, Ramy Al-Asheq und Monika Rinck (Mitte) übersetzen einander hin und her, Nino Haratischwili (rechts) nominiert Lina Atfah für den Hertha-Koenig-Literaturpreis.
Fotos: Picturedesk (3), Juliette Moarbes (2), Heike Steinweg

Die aus verschiedenen Gebieten der Welt Kommenden bringen neben Speisen, Sprachen und Kulturen neue Denkanstöße, z. B. zum deutschen Umgang mit Rassismus und Kolonialismus. So etwa die Britin Sharon Dodua Otoo, die sich als Aktivistin – noch bevor sie 2016 als erste Schwarze den Preis der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt verliehen bekam – mit der bislang kaum wahrgenommenen Geschichte des Rassismus in Deutschland beschäftigte. Dies mag überraschen, hat Deutschland doch die an jüdischen Mitbürgern vollzogenen Verbrechen verhältnismäßig gut aufgearbeitet. Aber es geht auch darum, die Gegenwart zu gestalten. So skizziert eine junge Generation von jüdischen Autorinnen, wie Lena Gorelik oder Sasha Marianna Salzmann, Möglichkeiten jüdischen Lebens heute, die nicht nur mit Erinnerung an den Holocaust zu tun haben. Diese Autorinnen kamen meist ab 1991 als Kinder von Kontingentflüchtlingen aus der Sowjetunion nach Deutschland. Viele von ihnen bewegen sich im Umkreis des Berliner Maxim-Gorki-Theaters.

Dort veranstaltete der Lyriker Max Czollek 2016 den ersten Desintegrationskongress, in dem nach zeitgenössischen jüdischen Positionen gesucht wurde. "Desintegration" versteht Czollek als künstlerische Strategie gegen die Opferrolle, welche jüdischen Menschen in Deutschland als einzige in einem "Gedächtnistheater" zugewiesen wird. "Desintegration bedeutet, sich nicht gebrauchen zu lassen, wenn Deutsche eine jüdisch-christliche Tradition erfinden und damit eigentlich sagen wollen: Der Islam hat in Deutschland nichts zu suchen." Dass mit dem Schuldbekenntnis zum Holocaust die Diskriminierung nicht beendet ist, wurde mit dem Erstarken von nationalistischen und rassistischen Bewegungen in Deutschland nun offenbar.

Auch die aus Aserbaidschan stammende deutsche Autorin Olga Grjasnowa arbeitet in diese Richtung. Ihr Debüt Der Russe ist einer, der Birken liebt zeichnet ein komplexes Geflecht von Kindern der zweiten und dritten Einwanderergeneration, die aus Aserbaidschan, Palästina, der Türkei, Israel oder gemischten Familien stammen und sich eindeutigen Zuschreibungen verweigern. Mit dem Blick der jungen Protagonistin Mascha erfährt der Leser, wie oberflächlich Deutsche die "Anderen" wahrnehmen. Denn vereinfachend urteilen nicht nur Ausländerhasser, sondern auch Wohlmeinende. Grjasnowa macht deutlich, dass sich die Einheimischen nicht mehr von den aus aller Welt eindringenden Konflikten abgrenzen können.

Die Traumata der aus problematischen Regionen Geflüchteten werden sogar hier manifest und erinnern möglicherweise an eigene Erfahrungen von Kontrollverlust und Ohnmacht. Die Autorin beruft sich auf die Tradition deutschsprachiger Exilliteratur, in der dieselben Probleme, wie Visa, Quoten, Bürgschaften, Verlust der beruflichen Existenz, behandelt wurden, und verwehrt sich gegen den Begriff "Migrationsliteratur", der ein paternalistisches Konzept verfolge: "Man kann dreißig Bücher schreiben – und ist immer noch Migrationsautor und kein deutscher Autor." Bis heute gebe es keinen selbstverständlichen Umgang mit fluiden Identitäten, wie sie aus komplexen Biografien erstehen. Der Begriff Integration, etwa in Zusammenhang mit nach Deutschland gekommenen Syrern, scheint ihr genauso problematisch. "Es geht in der Lebensrealität der Geflüchteten (...) ums physische Überleben, darum, ob man subsidiären Schutz bzw. Asyl bekommt und ob die Familien nachkommen können. Das sind die primären Fragen, die sich eher einstellen als die nostalgische Erinnerung an ein paar Weinblätter." Womit wir wieder beim Essen wären.

Einblicke aus erster Hand

Auch das hatte ich im Sinn, als ich letzten Sommer eine Adresse in der Nähe des Potsdamer Platzes suchte. Ich stand dann vor einem aufgelassenen Hotelblock, der als Unterkunft für Geflüchtete diente, wie ich beim Security-Check bemerkte. Im 14. Stockwerk sollte in einer Bibliothek für arabische Literatur eine Lesung stattfinden. Oben drängten sich Besucherinnen, schwatzten, lachten, tranken, ein aufgeregtes Begrüßen, Wiedererkennen, das nicht merklich versiegte, als die Präsentation begann. Kein starres Sitzen wie üblich, sondern die Bewegung der Menschen hielt an. Es war heiß, lose Tops, Shorts bei den Frauen, Muskelshirts bei den Männern. Erstmals wurde das Projekt "weiterschreiben.jetzt" vorgestellt. Deutsche Übersetzerinnen und Schriftsteller ermöglichen damit geflüchteten Autorinnen, ihre literarische Arbeit weiterzuführen. Und weiterschreiben heißt auch gelesen zu werden. Statt abgegriffener TV-News erhalten Zuhörer Einblicke aus erster Hand und können von Verlust geprägte Erfahrungen nacherleben. Denn die Geflüchteten sprechen für sich selbst. Auf der Website des Projekts finden sich diese Texte sowohl in arabischer als auch in deutscher Sprache.

Die Vortragskunst der Autorinnen gestaltet Lesungen manchmal körperlicher als gewohnt. So trug Ramy Al-Asheq in der Bibliothek ein Gedicht vor, das er schrieb, während seine Mutter über das Meer flüchtete. Zuhörer Senthuran Varatharajah interpretiert das Poem als "Dokument des Wartens; er ist auf einen unbestimmten, ungewissen Ort ausgerichtet; er kommt langsam voran, bewegt sich in Wellen, formal: Strophen, die Titel tragen und deren Anordnung die Bewegung des Meers zu imitieren scheint, dieses Wiegen, Schaukeln. Die leere Zeile zwischen den Absätzen könnte die Spur sein, die das Schlauchboot im Wasser hinterlässt und die es wieder nimmt. Es liegt auf der Hand: Dieses Gedicht soll das Meer beruhigen." Die junge Widad Nabi schreibt über Träume, in denen sie wiederholt ihr Elternhaus aufsucht, von dem sie beim Erwachen jedoch weiß, dass es längst zerstört ist. In der Zusammenarbeit mit der in Ostberlin aufgewachsenen Annett Gröschner entdeckt sie auf Gängen durch den gentrifizierten Prenzlauer Berg Gemeinsamkeiten: "Wir beide waren nur Betrachter von Orten, die mit unserer Erinnerung verbunden waren, Orte, die uns im Stich gelassen hatten durch Kriege, Zerstörung und Abschiede."

In der Gegenwart entdecken die Geflüchteten in Berlin aber auch Gegenden, die ihren früheren Orten ähneln, wie Dima al-Bitar Kalaji, die syrische Organisatorin von Weiter schreiben, berichtet. Der ehemalige Medizinstudent Eyas fährt mit dem Fahrrad Essen aus und lernt so Straße für Straße kennen. Das Übereinanderlegen von Damaskus und Berlin, meint er, sei "eine Normalisierung mit dem Ziel, Vertrautheit zu erzeugen, um Orte, die wir nicht mehr aufsuchen können, in Gedanken wachzuhalten und uns daran zu erinnern, warum wir hier sind." So erhält die Stadt in der Interpretation durch Neuankömmlinge eine weitere Bedeutungsschicht. Und neue Perspektiven verändern auch die Einheimischen, scheint es. Von der Terrasse des aufgelassenen Hotels über Berlin blickend, wirkten die deutschen Besucher gelöster, offener, freundlicher als sonst. Und die Granatapfelkerne im Salat verspritzten roten Saft auf mein weißes T-Shirt als bleibende Erinnerung.

Elf Monate Wartezeit

"Weiterschreiben" ist ein Folgeprojekt von "wirmachendas.jetzt", das sich um den Austausch zwischen Einheimischen und Geflüchteten kümmert. Die Autorin Annika Reich wurde 2015, kurz nachdem die Grenzen geöffnet worden waren, gebeten, eine geflüchtete Familie bei sich unterzubringen, half bei ersten Behördengängen und gründete in der Folge mit 100 Intellektuellen, Autorinnen, Journalistinnen, Künstlerinnen, Managerinnen dieses Forum: "Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Die vielen Geschichten von traumatisierten Menschen nicht, mein Schwanken zwischen Ohnmacht und Selbstüberschätzung nicht. Ich habe in dieser Zeit Kinder getroffen, die aus dem Krieg nach Berlin geflohen sind, und hier gehungert haben. Ich habe reihenweise obdachlose Familien in den Parks rund um unsere Wohnung gesehen. Alte, Kinder, Menschen im Rollstuhl."

Geflüchtete kommunizieren nun in zahlreichen Initiativen nicht als Opfer mit Einheimischen, sondern präsentieren sich als das, was sie waren, bevor sie hierherkamen, nämlich gebildet, berufstätig als Grafiker, Informatikerin, Journalistin etc. Begonnen wurde mit Gesprächen zwischen Geflüchteten und Einheimischen in lokalen Buchhandlungen. Denn ein großes Problem kurz nach der Ankunft war einerseits die gemeinsame Unterbringung von Menschen aller Schichten und Bildungsmilieus, andererseits die räumliche Isolation in abgelegenen Flüchtlingsheimen, sodass eine alltägliche Kontaktaufnahme unmöglich war. Hamed Abboud, ein syrischer Autor, der in der Schweiz veröffentlicht und in Österreich lebt, erzählt davon: "Elf Monate. Elf Monate Wartezeit auf dem Land, wo es wenig Leute gab. Und von diesen elf Monaten Wartezeit habe ich sieben Monate in Isolation gewohnt. Damals hatte ich keinen Kontakt. Keine Besucher, keine Freiwilligen, die zu uns kamen."

In der Folge entstanden bei wirmachendas z. B. die Comicreportagen Alphabet des Ankommens, kritische Artikel zur Darstellung Geflüchteter in den Medien, Fotoprojekte, Selbsthilfegruppen für überforderte Helferinnen, Forschungsvorhaben zu Geflüchteten, Mentorenprogramme für Studienanfänger, Begegnungen, die gemeinsames Kochen und Essen in den Vordergrund stellen. Speisen sind ein Verständigungsmittel für Sprachlose, wie jeder weiß, der auf Reisen je zu Gast bei Einheimischen war. Bei gemeinsamem Schmecken und Kauen, Besprechen von Zutaten und Rezepten, im wechselseitigen Erkunden von Vorlieben und Abneigungen lernt man sich mühelos besser kennen. Wer mit Einheimischen isst, lässt sich auf einen Ort, ein Zeitmaß, eine soziale Umgebung ein, die Kommunikation funktioniert über die Zunge und den Gaumen. Literatur, die aus Ortswechseln ersteht, ist in diesem Sinne als höhere Nahrung zu verstehen. Auch sie verbindet Menschen über Gefühle und geteilte Erfahrungen. (Sabine Scholl, Album, 1.9.2018)