Der Doyen der österreichischen Fotografie, Erich Lessing, ist verstorben. Die Nachricht von seinem Tod überbrachte mir seine Tochter, Hannah Miriam Lessing. Das Foto, das sie zufügte, stammt allerdings nicht vom Künstler selbst. Auf diesem Foto ist er der Porträtierte. Es zeigt den Vater mit der kleinen Hannah Miriam, die sich gerade von der Kamera abwendet, im bunten Kleid und mit einer Schale Nüsse in der Hand. Gelassen und geborgen in seiner Nähe.

Von dem, was bleibt

Das Foto hält Intimität und Vertrauen fest. Es erzählt von dem, was zwischen Vätern und Töchtern, so es glückt, von so unermesslichem Wert für das ganze Leben ist und dessen endgültiger Verlust ein schwelendes Foltermal in der Seele zurücklässt. Von dem, was bleibt: Echo und Aufforderung. Das Foto löst eine Welle von Erinnerungen aus. Eigene Erinnerungen an meinen Vater, auf dessen Schoß ich genauso geborgen gesessen bin. An das Gefühl des Zersplitterns einer bis dahin als unzerstörbar wahrgenommenen Welt.

Und an die Berichte anderer Töchter, die ihre Väter verabschieden mussten – immer unter unterschiedlichen Umständen, manchmal völlig unerwartet, manchmal am Ende einer langen Begleitung durch die Erkrankung. Manche jung, manche alt. Manche im Guten, andere im Streit. Die Beziehung zum Vater ist nie abgeschlossen: Man bewegt sich unerbittlich gemeinsam dem Altern entgegen, die eigene Erfahrung bricht den ursprünglichen, kindlichen Blick.

Wie auch immer die Trennung erfolgte: Immer mäanderte da das Tochterleid, diesen Menschen ziehen lassen zu müssen, endgültig. Wenn der Vater stirbt, stirbt ein Tochterteil mit ihm mit. Und ein anderer Tochterteil erwacht langsam zu neuem Leben: die verwaiste, aber reifende Tochter. Es schmerzt dennoch. Vermutlich bis ins hohe Alter. (Julya Rabinowich, 31.8.2018)