Wien – Bis ins 20. Jahrhundert hinein gingen Astronomen davon aus, dass das Universum statisch sei. Erst in den 1920er Jahren näherten sich einige Forscher der Erkenntnis an, dass es expandiert. In die Wissenschaftsgeschichte eingegangen ist damit der US-amerikanische Astronom Edwin Hubble: Nach ihm sind unter anderem die Hubble-Konstante als Maßzahl für die Expansion und das dahinterstehende Hubble-Gesetz benannt (im englischen Sprachraum ist letzterer Ausdruck allerdings etwas gebräuchlicher als im deutschsprachigen).

Nun gibt es in der Astronomie Bestrebungen, diese Ehrung abzuschwächen beziehungsweise mit einem Pionier zu teilen, der bislang vernachlässigt wurde: Der belgische Astrophysiker Georges Lemaitre hatte die Expansion des Universums nämlich schon ein paar Jahre vor Hubble entdeckt. Auf der Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union in Wien forderten Forscher daher, das Hubble-Gesetz in Hubble-Lemaitre-Gesetz umzubenennen. Damit würde die "fundamentale Beteiligung beider Forscher an der Entwicklung der modernen Kosmologie" gewürdigt.

Historischer Hintergrund

Lemaitre veröffentlichte 1927 seine Berechnungen und theoretischen Abwandlungen. Darin zog er den Schluss, dass sich aus Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie ein dynamisches Universum ergibt, was schon der russische Forscher Alexander Friedmann 1922 erklärt hatte. Einstein selbst war damals noch von einem statischen Universum ausgegangen, um dies später als "größte Eselei seines Lebens" zu bezeichnen.

Ein expandierendes Universum brächte die Rotverschiebung des Lichts fernab gelegener Galaxien mit sich, so Lemaitre, und die Rotverschiebung sei umso größer, je weiter vom Beobachter entfernt eine Galaxie ist. Das spätere Hubble-Gesetz und die Hubble-Konstante waren also bereits in Lemaitres Publikation enthalten.

Unbemerkt

Das Problem: Lemaitre hat seine Arbeit in einem unbedeutenden Fachmagazin in der damals für die Wissenschaft unbedeutenden französischen Sprache veröffentlicht. Die Wissenschaftswelt nahm deshalb keine Notiz davon. Bei der dritten Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union (IAU) 1928 in den Niederlanden traf Lemaitre dann Hubble, und die beiden tauschten sich über die Bedeutung der Rotverschiebung aus.

Drei Jahre später veröffentlichte Hubble mit seinem Assistenten Milton Humason in einem amerikanischen Fachjournal (PNAS) mehr oder weniger die selben Dinge, die in Lemaitres französischer Publikation enthalten waren. Kurz darauf war die Expansion des Kosmos mit dem "Hubble-Gesetz" gebrandet.

Subtile Kritik an Hubble

"Man hat das Gesetz nach dem sehr offensiv und freimütig kommunizierenden Herrn Hubble benannt, der auch sehr bedacht war, für seine Erkenntnisse ausreichend Anerkennung zu bekommen", sagt Thomas Posch vom Institut für Astronomie der Universität Wien. Hubble habe zwar mit seinen Beobachtungen einen großen Anteil an demGesetz, das gleiche könne man aber auch von Lemaitre mit seinen mathematisch-theoretischen Abhandlungen und Interpretationen sagen.

Außerdem habe Lemaitre explizit von einem expandierenden, dynamischen Universum gesprochen, in dem der Raum selbst sich ausdehnt, und dass die "Flucht der Galaxien" nicht bloß eine Bewegung im fixen Raum ist. Dies ist umso beachtlicher, als Lemaitre auch Theologe und Priester war. Hubble hingegen habe sich nicht festgelegt, wie die Bewegungen der Galaxien zu interpretieren sind. Er war dazu "bemerkenswert schweigsam", zitiert Posch Biografen Hubbles.

Lemaitre übte sich zeitlebens in Bescheidenheit und stellte seine eigene Sichtbarkeit dem wissenschaftlichen Fortschritt hintan, meinten die Astronomen bei der 30. Generalversammlung der IAU. Deshalb beschlossen sie mit großer Mehrheit eine Resolution, die fordert, Lemaitre wenigstens jetzt für seine fundamentalen Arbeiten Ehre zukommen zu lassen. Allerdings folgt nun auch eine elektronische Abstimmung, bei der nicht in Wien anwesende IAU-Astronomen noch bis Oktober ihre Meinung kundtun können. (red, APA, 31. 8. 2018)