"Die Nazis terrorisieren viele kleine und manche Mittelstädte, und zwar tun sie das mit der Miene von Leuten, die ungeheuer viel riskieren; sie machen immer ein Gesicht, als seien sie und ihre Umzüge wer weiß wie illegal. Sie sind aber durchaus legal, geduldet, offiziös. (...) Polizei und Richter dulden diese Burschen, und sie dulden sie in der durchaus richtigen Anschauung: 'Mitunter ist es ja etwas reichlich, was hier getrieben wird ... Aber trotz allem: Diese da sind Blut von unserem Blut, sie sind nicht gegen, sondern für die Autorität – sie sind, im allertiefsten Grunde, für uns, und sie sind nur deshalb nicht ganz und gar für uns, weil wir ihnen nicht stramm genug sind und zu sehr republikanisch. Wir möchten ja auch gerne ... aber wir dürfen nicht ... aber es sind unsere, unsere Leute.'"

Kurt Tucholsky im Jahr 1930 unter dem Titel "Die deutsche Pest". Das erinnert an die Haltung der sächsischen Polizei, Justiz, konservativen Politik gegenüber dem Neonazi-Mob, der sich in Chemnitz oder anderswo austoben darf? Und wie das daran erinnert! Komplett mit dem verharmlosenden Gesäusel konservativer Politiker wie des sächsischen CDU-Ministerpräsidenten, mit der heimtückischen Verdrehung durch die rechtsextreme AfD ("Notwehr", sagt deren Chef Alexander Gauland) und mit dem beifälligen Klatschen durch den Vizekanzler der Republik Österreich (Strache verlinkte auf seiner Facebook-Seite auf eine rechtsextreme Zeitung).

Neonazi-Mobs

Denn "es sind unsere, unsere Leute". Wer die hassverzerrten Fratzen und die Heil-Hitler-Grüße auf den Fotos des Neonazi-Mobs in Chemnitz gesehen hat und nicht erkennt, dass das die Todfeinde der Demokratie, des Rechtsstaats und jeglicher Humanität sind; wer das bagatellisiert; wer die Neonazis durch Kritik "nicht aufwerten" will; wer (wie etwa die bayrische CSU) glaubt, man könne durch Übernahme ausländerfeindlicher Politik den Rechtsextremen "den Wind aus den Segeln nehmen"; und schließlich, wer den "besorgten Bürgern", die da kein Problem sehen, sich bei den Neonazis einzureihen, irgendetwas Beschwichtigendes zumurmelt, statt klar strafrechtlich und politisch gegen diese Leute vorzugehen – der gräbt sich das eigene Grab.

Kurt Tucholsky hat es vorausgewusst. Der glänzende Schriftsteller und Polemiker der Weimarer Republik war "ein kleiner, dicker Berliner, der mit einer Schreibmaschine die Katastrophe aufhalten wollte" (Erich Kästner). Es ist bekanntlich nicht gelungen.

Heute rennen wieder so viele Bürger, die es besser wissen müssten, einer Geisteshaltung und einer Politik nach, die in der Vergangenheit zur katastrophalsten aller Katastrophen geführt hat. Heute sind wieder so viele Bürgerliche bereit, genau diese Geisteshaltung und Politik zu tolerieren.

Man sollte meinen, dass zumindest intelligente Menschen einen Schluss ziehen können aus der historischen Erfahrung mit Nationalismus, Fremdenhass und Deutschtümelei.

Vielleicht doch bei Tucholsky nachlesen? (Hans Rauscher, 31.8.2018)