Der Tod eines 35-jährigen Tischlers aus Chemnitz hat viele Bruchlinien aufgezeigt, die zwar vorher schon da waren, die aber Politiker in dieser Massivität nicht wahrhaben wollten.

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Es ist jetzt genau drei Jahre her, da sprach die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihren bisher umstrittensten Satz: "Wir schaffen das." Gemeint war die Aufnahme der vielen Flüchtlinge.

Doch wenn man dieser Tage nach Chemnitz schaut, dann drängt sich die Frage auf: Wie ist es zu schaffen, dass diese aufgebrachte Stadt wieder zur Ruhe kommt – und mit ihr auch Deutschland, das die Geschehnisse in der sächsischen Stadt wie unter einer Lupe betrachtet?

Der Tod eines 35-jährigen Tischlers aus Chemnitz hat mit einem Mal so viele Bruchlinien aufgezeigt, die zwar vorher schon da waren, die aber Politiker in dieser Massivität nicht wahrhaben wollten. Viele Menschen vertrauen ihnen nicht mehr – und den Medien genauso wenig. In Chemnitz zeigte sich: Es gibt genug, die weniger Angst davor haben, neben Rechtsextremen zu stehen, als neben Flüchtlingen.

Das mag man vor allem in relativ toleranten Großstädten wie Berlin oder Hamburg schrecklich und nicht nachvollziehbar finden. Aber so ist eben die Lage, und da helfen auch Verweise auf den generellen Wohlstand, die allgemein hohe Lebensqualität in Deutschland und auf viele gut integrierte Flüchtlinge nichts. Die Bluttat von Chemnitz fegt alle Argumente vom Tisch.

Kein Patentrezept

Es hat sich viel angestaut – angefangen bei den sexuellen Übergriffen in Köln in der Silvesternacht 2015 über das Attentat am Berliner Weihnachtsmarkt im Advent 2016 bis hin zu Chemnitz. Und viele wissen aus dem privaten Kreis auch noch etwas zu erzählen – sei es, dass sie den Vorfall selbst erlebt oder im Internet darüber gelesen haben.

Zur Wahrheit gehört leider, dass niemand in Deutschland nun ein Patentrezept hat, wie man diese Kluft rasch überwinden kann, die die beiden Seiten trennt: auf der einen Seite die vom Staat Enttäuschten, auf der anderen Seite jene, die sich um Deeskalation und die Aufrechterhaltung des Rechtsstaates bemühen.

Es ist natürlich auch nicht hilfreich, wenn sich herausstellt, dass einer der Tatverdächtigen schon hätte abgeschoben werden können. Dennoch darf nichts vertuscht werden, muss jede auch noch so unangenehme Wahrheit ausgesprochen werden. Chemnitz könnte für Deutschland eine Zeitenwende bringen. Wohin der Wind sich dreht, ist noch nicht absehbar. Klar ist aber, dass Angela Merkel drei Jahre nach ihrem berühmten Satz wieder einen großen Brocken vor sich hat, den sie erst einmal schaffen muss. (Birgit Baumann, 31.8.2018)