56 Minister und eine einzige widersprüchliche Kakofonie aus Forderungen und Attacken zu EU-Maßnahmen überschatteten beim Treffen der Verteidigungs- und Außenminister alles.

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Die Europäische Union kommt beim Thema Migration und Asyl nicht zur Ruhe, eher im Gegenteil: Je näher der Termin der Europawahlen im Mai 2019 rückt, bei denen nicht nur die Abgeordneten des EU-Parlaments, sondern Monate später auch die EU-Kommission neu bestimmt werden, desto radikaler und schriller werden die Debatten.

Was sich derzeit in Deutschland rund um die von Kanzlerin Angela Merkel bestimmte Linie zur Migration und das Erstarken der Rechten abspielt, ist nur ein Spezialfall: weil Berlin wegen seiner politischen und wirtschaftlichen Stärke den größten Einfluss auf die Politik der Gemeinschaft hat – neben Frankreich.

Umso neugieriger wie beunruhigter schauen die EU-Partner nach Deutschland, wenn dort Rechtsradikale nach einem (mutmaßlichen) Mord durch einen abgewiesenen Asylwerber den Hitlergruß in TV-Kameras recken. Nicht nur dort nutzen Rechte das Asylthema und einen Mordfall für rassistische Propaganda gegen Migranten.

In anderen EU-Ländern kennt man das längst. In Österreich kam eine rechtsnationale Regierung an die Macht, weil nicht nur die FPÖ, sondern auch die ÖVP unter Sebastian Kurz auf Defizite der Migrationspolitik und Ängste der Bevölkerung setzte.

Widersprüchliche Kakofonie

In einer Woche zeichnet sich in Schweden ein Machtwechsel ab. Das Land und seine rot-grüne Regierung haben seit 2015 den Großteil der Migranten im EU-Raum aufgenommen und – wie Österreich und Deutschland – spät Restriktionen gesetzt. Dennoch dürften die radikal rechten Schwedendemokraten stark dazugewinnen.

Italien hat das hinter sich: Eine hemmungslos populistische Koalition unter der "geistigen" Führung der ultrarechten Lega von Matteo Salvini treibt die EU nun in Sachen Migration und Flüchtlingsabwehr vor sich her.

Einen der Hauptgründe für all das konnte man beim Treffen der Verteidigungs- und Außenminister in Wien beobachten: 56 Minister und eine einzige widersprüchliche Kakofonie aus Forderungen und Attacken zu EU-Maßnahmen überschatteten alles.

Bizarrerweise sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, man brauche bei der Migration jetzt "Klarheit" und "Entschlossenheit". Es klang naiv. Sie selber legte nicht den Ansatz einer Lösung vor, wie auch der österreichische EU-Ratsvorsitz. Die Kommission mit Präsident Jean-Claude Juncker hat noch immer nicht begriffen, dass das gemeinsame Europa zu zerbrechen droht, wenn nichts geschieht. Nur Einzelvorschläge gibt es nach gut drei Dutzend EU-Gipfeln zum Thema mehr als genug.

Die meisten Bürger lässt das kalt. Viele fühlen sich im Stich gelassen, machen bei Wahlen ihr Kreuz bei radikalen rechten Parteien. Dasselbe droht in nur neun Monaten bei den EU-Wahlen. Bei einem der wichtigsten Themen, der Migrations- und Asylpolitik, ist eine "gefährliche Leerstelle" entstanden, wie die Süddeutsche Zeitung zur defensiven, ideenlosen Politik Merkels festhielt. das gilt auch für die ganze EU.

Wieso also stellen Merkel, Juncker (und auch Österreichs Kanzler Kurz als EU-Ratsvorsitzender, anstatt nur immer vom Grenzschutz zu reden) nicht einen energischen Zehnpunkteplan zur Migration vor, um den gemeinsam zu kämpfen sich lohnt? So wie einst Helmut Kohl 1989 zur deutschen Wiedervereinigung? Jene, die Europa zerstören wollen, könnte man damit stellen, zum Offenbarungseid zwingen. Worauf also warten? (Thomas Mayer, 31.8.2018)