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Das Rettungsschiff Aquarius im Hafen von Valencia, 17. Juni 2018.

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Das Pressegespräch endete, weil der Minister zum Flughafen musste. Am Abend stand ein Termin mit Uno-Generalsekretär António Guterres auf dem Programm.

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"Wien, Rom und Paris werden in 20 Jahren muslimische Städte sein, überall schwarze Leute und Minarette", warnte US-Präsident Donald Trump den spanischen Außenminister, als dieser mit König Felipe Ende Juni Washington besuchte. So schlimm werde es nicht, erklärte Josep Borell am Freitag vor Journalisten in der spanischen Botschaft in Wien. Allerdings sei die Migrationskrise gefährlicher als die Finanzkrise, sie drohe "die EU aufzulösen", warnte Madrids Chefdiplomat.

"Es wird sehr schwierig, eine EU-weite Lösung zu finden", so Borrell. "Die Eurokrise war mit Geld und ein paar institutionellen Veränderungen, die man Technokraten überlassen konnte, relativ einfach zu lösen. Die Migration hingegen als soziales und kulturelles Problem berührt die Menschen viel stärker. Hier geht es darum, ob es eine Gesellschaft schafft, Zuwanderer zu assimilieren. Es geht um Identitäten, und hier ist es einfach zu manipulieren: 'Massenimmigration, Millionen kommen ins Land, wir sind Opfer einer Invasion, unsere Zivilisation geht zugrunde, wir müssen die Häfen schließen‘, tönen dann Politiker wie Italiens Innenminister Matteo Salvini."

Andere wie Ungarns Staatschef Viktor Orbán wollten nur Christen aufnehmen, und für die Polen wären Arbeitskräfte von den Philippinen akzeptabel, die zwar vom anderen Ende der Welt kämen, aber katholisch seien. "Angesichts des Bevölkerungsrückgangs, der sich besonders stark in Deutschland und Spanien abzeichnet, brauchen wir Arbeitskräfte. Gleichzeitig wächst Afrikas Bevölkerung mit unglaublicher Geschwindigkeit, und mit Problemen wie dem Klimawandel, den wir nicht unter Kontrolle bekommen, wird die Fluchtbewegung noch zunehmen. Wenn es uns nicht gelingt, den Leuten in ihren Heimatländern zu helfen, werden sie versuchen, zu uns zu kommen".

"Dublin ist in Valencia gestorben"

Borrell erklärte, er habe auch beim EU-Außenministerrat am Freitag in Wien sein Verständnis für Italiens Klagen, man sei jahrelang alleingelassen worden, geäußert. Er kritisierte die "Spektakel", dass bei der Ankunft jedes NGO-Schiffs mit Migranten über die Aufteilung der Geretteten debattiert werde, und forderte eine dauerhafte Lösung.

Ein entscheidender Punkt sei hier das Rettungsschiff Aquarius gewesen, das nach tagelanger Irrfahrt im Hafen von Valencia anlegte, nachdem sich Frankreich bereiterklärt hatte, 300 Gerettete aufzunehmen: "Alle diese Leute hätten wie in der Dublin-Verordnung vorgesehen in Valencia ihren Asylantrag stellen können, stattdessen wurde ein Teil nach Frankreich gebracht."

40.000 Asylanträge

Schlussendlich stünden die Europäer vor der Frage, ob man alle aufnehmen solle, die es über das Mittelmeer schaffen. Da hier die Antwort wohl "Nein" sei, müsse man im nächsten Schritt Kriterien festlegen, nach denen Zuwanderer ausgewählt werden. Wer Schutz benötige, dessen Asylverfahren müsse rasch abgewickelt werden, dies dürfe nicht wie in Italien im Durchschnitt vier Jahre dauern. Allein in Spanien warteten 40.000 Asylanträge auf Bearbeitung.

Vor den Konsequenzen einer Wiedereinführung der durch das Schengen-Abkommen aufgehobenen innereuropäischen Grenzkontrollen warnte Borrell: "In Spanien empfangen wir jedes Jahr 85 Millionen Touristen – es wäre ein gigantischer Aufwand, die Grenzen wieder hochzuziehen."

Die EU sei eine Erfindung des vergangenen Jahrhunderts, erklärte Borrell. Innereuropäische Probleme habe man gut bewältigt, aber dies werde nicht ausreichend gewürdigt. "Ich habe vor einem Jahr meine Studenten gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, mit aufgepflanztem Bajonett ihre Erasmus-Freunde aus dem letzten Sommer zu töten, und sie konnten sich nicht vorstellen, wovon ich rede. Wenn ich jetzt höre, wie Orbán seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron als seinen 'Feind' bezeichnet und dieser erklärt, diese Rolle übernehme er gern, kann ich die beiden nur bitten, diese Dialektik sofort einzustellen."

"1957 war Globalisierung kein Thema"

Das 21. Jahrhundert bringe neue Herausforderungen, erklärte der spanische Außenminister: "Als 1957 in Rom die Europäische Gemeinschaft gegründet wurde, war die Globalisierung kein Thema, aber nun müssen wir die Union fit für neue Herausforderungen machen." Traditionellerweise definierten sich Staaten über Kriterien wie Währung, Grenzen und Streitkräfte. Darauf hätten einige Staaten verzichtet, und sie seien damit durchaus erfolgreich.

"Wenn Spanien noch die Peseta benutzt hätte, hätten wir im Jahr 2004 nicht beschließen können, unsere Truppen aus dem Irak abzuziehen, weil am nächsten Tag unsere Währung abgestürzt wäre, wie wir es jetzt bei der türkischen Lira beobachten können. Die Aufgabe der eigenständigen Währungspolitik ermöglichte also größere Souveränität in anderen Bereichen. Wir konnten den damaligen US-Präsidenten George W. Bush also einfach anrufen und ihm mitteilen, dass unsere Soldaten heimfahren."

Arbeitskräfte aus Marokko

Die spanische Wirtschaft sei in hohem Ausmaß von ausländischen Erntehelfern abhängig, die die Gemüsefelder im Süden des Landes bestellen. "Wir stellen sogenannte Rotationsvisa aus", erklärte Borrell, "mit denen die großteils weiblichen Arbeitskräfte aus Marokko im Land bleiben können, solange dies erforderlich ist. Sie wissen, dass sie ausreisen müssen, aber nächstes Jahr wiederkommen können."

Derzeit verhandle Spanien mit mehreren lateinamerikanischen Staaten, die Landarbeiter für ein Jahr nach Europa schicken sollen. "Diese erwerben hier Kenntnisse über Landwirtschaft in extrem trockenen Gegenden – die Kosten für diese Ausbildung übernehmen die Agrarkooperativen." (Bert Eder, 31.8.2018)