Im Februar, zum Geburtstagsfest seiner Arbeiterpartei, hatte Ex-Präsident Lula da Silva noch eine erneute Kandidatur im Blick.

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"Guten Morgen, mein Präsident!" Wie jeden Tag haben sich Unterstützer vor den grauen Mauern der Bundespolizei in Curitiba versammelt und rufen in Richtung der vergitterten Fenster. Ob sie der inhaftierte Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hört, ist unklar. Seit fast fünf Monaten ist Brasiliens Linksikone in Haft, verurteilt wegen Korruption und Geldwäsche zu zwölf Jahren und einem Monat. Seine Anhänger sehen darin nur einen weiteren politischen Schachzug, um ihn mundtot zu machen. Denn ungeachtet seiner Haft führt Lula die Umfragen zur Präsidentschaftswahl im Oktober mit 20 Prozent Vorsprung an. In den armen nordöstlichen Bundesstaaten und im Amazonas kommt er sogar auf die absolute Mehrheit.

Doch Lula ist ein virtueller Kandidat. Das Oberste Wahlgericht (TSE) hat am Freitag (Ortszeit) mit sieben zu einer Stimme seine Kandidatur verboten. Die Richter begründeten ihre Entscheidung mit einem von Lula selbst erlassenen Gesetz, nach dem Vorbestrafte nicht für öffentliche Ämter kandidieren dürfen.

Uno erklärt Verbot für unzulässig

Lulas Anwälte argumentieren allerdings, dass seine Kandidatur rechtens ist, weil noch Einsprüche gegen die Haftstrafe anhängig sind. Sie hatten vor kurzem den UN-Menschenrechtsausschuss angerufen, der eine Disqualifikation ebenfalls für unzulässig hält. Doch nichtsdestoweniger bleibt Lula von den Wahlen ausgeschlossen, auch wenn seine Arbeiterpartei (PT) angekündigt hat, alle verfügbaren Rechtsmittel einzulegen. "Sie wollen mich zerstören. Macht das auf faire Weise an der Wahlurne", entgegnet Lula seinen Kontrahenten.

Als Kandidat der PT wird wohl São Paulos ehemaliger Bürgermeister, Fernando Haddad, einspringen, der schon jetzt als Lulas Vize Wahlkampf macht. Dem ehemaligen Universitätsprofessor fehlen allerdings Volksnähe und Charisma des Ex-Gewerkschaftsführers. Unwahrscheinlich ist, dass er alle Stimmen von Lula auf sich vereinigen kann. Ersten Umfragen zufolge gaben knapp 50 Prozent der Befragten an, nur für das "Original" stimmen zu wollen.

Neuer Vorname Lula

Als symbolische Geste haben die Abgeordneten der Arbeiterpartei "Lula" als zusätzlichen Vornamen angenommen, damit er nicht vergessen wird und in den Anwesenheitslisten im Kongress auftaucht. Ob das reicht, ist fraglich. Denn auch landesweit ist die PT durch Korruptionsermittlungen, in die zahlreiche Politiker aus ihren Reihen verwickelt sind, geschwächt.

Der Wahlkampf zeigt, wie zerrissen die Gesellschaft nach mehr als drei Jahren Wirtschaftskrise und dem größten Korruptionsskandal in der Geschichte des Landes ist. Auf Platz zwei hält sich mit rund 19 Prozent Rechts-außen-Kandidat Jair Bolsonaro, der die Zeit der Militärdiktatur (1964 bis 1985) bewundert, Homosexualität ablehnt und Menschenrechte für Unfug hält. "Wir müssen Brasilien wieder groß machen", ruft der ehemalige Fallschirmspringer Anhängern zu und reißt in Donald-Trump-Manier die Arme hoch.

Lange wurde Bolsonaro von Analytikern und Politikwissenschaftern nicht ernst genommen. Jetzt hat er sich zum Sprachrohr der Enttäuschten und Politikverdrossenen aufgeschwungen. "Ich habe früher auch für Lula gestimmt, aber nach all den Korruptionsskandalen nicht mehr", sagt Ricardo Roriz, der jetzt ein treuer Fan von Bolsonaro ist. Stolz zeigt er bei dessen Nominierung in Rio seine Waden, auf dem das Konterfei seines politischen Idols tätowiert ist.

Weiß, jung, männlich

Roriz, der ein Geschäft im edlen Strandviertel Copacabana in Rio hat, steht stellvertretend für die Mehrheit von Bolsonaros Anhängern: Sie kommen aus der Mittel- und Oberschicht, sind weiß, jünger und überwiegend männlich.

Von einem endgültigen Aus für Lula würde wohl am meisten Marina Silva profitieren, die mit dem Nachhaltigkeitsnetzwerk Rede Sustentabilidade antritt. Die 60-jährige Umweltaktivistin aus dem Amazonas gilt vielen als Hoffnungsträgerin, obwohl sie bereits zum dritten Mal um das Präsidentenamt kämpft.

Hoffnungen macht sich auch São Paulos Ex-Gouverneur Geraldo Alckmin, der das Regierungsbündnis des unbeliebten Präsidenten Michel Temer hinter sich vereinigt hat. Derzeit dümpelt Alckmin, der 2006 die Präsidentschaftswahl gegen Lula verlor, allerdings bei sechs Prozent der Stimmen.

Insgesamt hat sich in Brasilien jedenfalls ein gefährliches Gemisch aus Politikverdrossenheit und Rechtspopulismus zusammengebraut. Selbst Analytiker wollen einen Wahlsieg des Ultrarechten Bolsonaro mittlerweile nicht mehr ausschließen. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 1.9.2018)