Seit Jahren werden Menschen aus dem Gebiet um den Tschadsee, hier in Niger, in Lagern untergebracht, wo es zum Teil am Nötigsten mangelt.

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Seit Monaten sind in der Region um den Tschadsee mit den Anrainerstaaten Nigeria, Niger, Tschad und Kamerun wieder mehr Menschen auf der Flucht. 10,7 Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen. Gerade in ländlichen Regionen sind Flüchtlingscamps hoffnungslos überfüllt. Allein in Bama im nigerianischen Bundesstaat Borno, der am stärksten betroffen ist, starben in einer Aufnahmestation der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen innerhalb von 13 Tagen 33 Kinder.

Weder gibt es ausreichend Nahrungsmittel noch eine funktionierende Gesundheitsversorgung. "Fünf Millionen Menschen sind von Ernährungsunsicherheit betroffen", sagt in Nigerias Hauptstadt Abuja Moshood Raimi, der für die nichtstaatliche Organisation Nigeria Ingo Forum (NIF) arbeitet. "Wir erwarten von der internationalen Gemeinschaft, dass sie sich dieser Herausforderung annimmt und sowohl kurz- als auch langfristig hilft."

Das soll im Rahmen der Tschadsee-Konferenz am Montag und Dienstag in Berlin geschehen. Zum zweiten Mal kommen Vertreter aus Deutschland, Nigeria, Norwegen sowie den Vereinten Nationen zusammen, um Gelder einzuwerben – vergangenes Jahr waren es 672 Millionen US-Dollar – und Lösungen zu diskutieren.

Terror leert Dörfer

Rund um den See stellt sich seit Jahren keine Besserung ein. Vor gut neun Jahren radikalisierte sich auf nigerianischer Seite die Terrorgruppe Boko Haram. Seit 2015 ist die Miliz zwar zurückgedrängt, verübt aber weiter Anschläge. Eine Abspaltung, der "Islamische Staat in Westafrika", tötete am Wochenende in Borno bis zu 30 Soldaten bei einem Angriff. Die Terrorfolgen: Bis heute sind ganze Dörfer verlassen, Felder werden aus Angst vor Angriffen nicht mehr bestellt. Lebensmittel kommen wegen zerstörter Straßen nicht an.

Aus Sicht von Moshood Raimi müssen neben einer Verbesserung der Sicherheitslage und der Schaffung von Infrastruktur allerdings auch die Bewohner mitreden dürfen. "Die Verantwortlichen müssen sie viel mehr einbeziehen. Ihre Ansichten dürfen nicht unterdrückt werden."

Viele Ansätze werden tatsächlich nicht in den Dörfern entwickelt, sondern in Büros in Nigerias Hauptstadt Abuja oder der Provinzhauptstadt von Borno, Maiduguri. Von staatlicher Seite gibt es bisher auch keine Initiativen, um Betroffene zu Gesprächen zusammen zu bringen. In der Regel bleiben sie mit ihrer Wut und Trauer alleine.

Problem Klimawandel

Für den katholischen Priester Maurice Kwairanga, der in der Provinzhauptstadt das Caritas-Komitee für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden (JDPC) leitet, gerät bei der Diskussion aber noch ein weiterer Aspekt häufig in Vergessenheit: der Klimawandel. "Der See schrumpft. Tausende junge Menschen haben ihre Lebensgrundlage verloren."

Nach Informationen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen ist der See innerhalb von 60 Jahren von 26.000 auf 1500 Quadratkilometer und somit um 90 Prozent geschrumpft. "Das ist das größte Problem, denn viele Menschen wissen nicht mehr, wie sie sich noch ernähren sollen."

Betroffen seien Fischer, aber auch Farmer und Viehhirten. Nigerias Norden liegt am Rande der Sahelzone, in der die Regenfälle immer unvorhersehbarer werden. Das macht die Bestellung der Felder in der ohnehin abgeschiedenen Region noch komplizierter. Die Viehhirten drängen auf der Suche nach Weideflächen in Richtung Süden, was dort seit Jahren zu schweren Konflikten führt.

Landkauf verschärft Situation

"Trotzdem herrscht viel Gleichgültigkeit", sagt Kwairanga, der sich seit Jahren mit Umweltschutz befasst. Er beobachtet, dass sich aktuell die Situation weiter verschärft, weil ausländische Firmen, aber auch wohlhabende Nigerianer, Land kaufen würden. "Erst werden Zäune gebaut, dann liegt es brach. Den Menschen vor Ort fehlen die Flächen." In einem Land, das jährlich um fünf bis zehn Millionen Einwohner wächst und dessen Bevölkerung schon heute bei 190 Millionen liegt, ist das gravierend. (Katrin Gänsler aus Abuja, 3.9.2018)