Gold statt Lira: Wie in früheren Krisen legen viele Türken ihr Geld wieder in Gold an. Im Juli stieg der Kurs um 30 Prozent.

Foto: APA/AFP/ADEM ALTAN

Zweifel an seiner Kompetenz und seinem politischen Spielraum muss Berat Albayrak zerstreuen, seit er vor zwei Monaten von seinem Schwiegervater, Staatschef Tayyip Erdogan, zum Finanzminister ernannt worden war. "Wir wissen genau, welche Schritte wir ergreifen müssen", versicherte der 40-jährige Albayrak zuletzt wieder.

Das legt den Schluss nahe, dass Finanzminister und Staatspräsident zumindest genau wissen, was der Rest der Finanzwelt für dringend notwendig hält: eine massive Anhebung der Leitzinsen. Die vermied Ankara bisher.

Aufklärung über die Schritte der türkischen Regierung zur Eindämmung der Inflation und des Verfalls der Lira erwarten sich Investoren und die Öffentlichkeit im Land einmal mehr diese Woche. Laut Gesetz müsste Albayrak in der ersten Septemberwoche eines Jahres die mittelfristige Finanzplanung vorlegen. Sie gilt nun für den Zeitraum 2019 bis 2021 und ersetzt die Planung seines Vorgängers Mehmet Simsek vom Vorjahr. Seither haben sich Regierungssystem und Wirtschaftslage in der Türkei grundlegend geändert, und Simsek selbst, dessen Aufgabe es über Jahre war, Investoren im Ausland von der Berechenbarkeit der Türkei zu überzeugen, ist auch nicht mehr im Amt.

Tabuthema Leitzinsen

Regierungsnahe Wirtschaftsprofessoren wie Kerem Alkin von der Istanbuler Medipol-Universität beschwören nun den Beginn einer neuen Ära der Wirtschaftspolitik in der Türkei. Sie plädieren für sichtbare Ausgabenkürzungen, Ansparen von privaten Kapital und für eine Reduzierung des Handelsbilanzdefizits, vor allem durch Drosselung der Importe. Ein Gang zum Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Beantragung von Kredithilfen gelten diesen Ökonomen wegen der damit verbundenen Reformauflagen als "Falle". Eine Anhebung der Leitzinsen – der maßgebliche Satz steht derzeit bei 17,75 Prozent – zur Verringerung der Inflation vermeiden sie zu erwähnen. Oder sie kritisieren sie vorsichtig als vermeintliches "Allheilmittel", wie es ein Kommentator in der Wirtschaftszeitung Dünya am vergangenen Wochenende tat.

Vorrang der Politik

Deutlich geworden ist, dass der türkische Staatschef und sein Finanzminister den Vorrang der Politik über die Finanzmärkte markieren möchten. Albayrak will erst sein mittelfristiges Finanzprogramm und möglicherweise auch den Haushaltsentwurf für 2019 vorlegen, bevor die Zentralbank bei der nächsten regulären Sitzung ihres geldpolitischen Komitees am 13. September über eine Zinserhöhung entscheidet.

Albayrak scheint mittlerweile von weniger als 4 Prozent Wachstum auszugehen nach 7,4 Prozent im Vorjahr. Moody's aber glaubt an ein massives Abbremsen auf 1,5 Prozent. Tatsächlich gingen die Importe im Juli um 6,7 Prozent zurück – und dies bei steigenden Energieeinfuhren. Der Konsum lässt nach. Verbraucherkredite über 20.000 Lira (derzeit 2630 Euro) und 24 Monate Laufzeit sind bei den Banken unter 35 bis 40 Prozent Jahreseffektivzins nicht mehr zu haben. Die Juli-Inflation lag bei 15,85 Prozent, die Zahl für August soll am Montag bekanntgegeben werden. (Markus Bernath, 3.9.2018)