Der "Sonnenstrand": Nirgendwo sonst in Europa sind Hotel und Bier am Strand billiger zu haben als an der bulgarischen Schwarzmeerküste. 11,5 Millionen Touristen kamen 2017 ins Land. Das ist allerdings immer noch weit weniger als in Griechenland oder der Türkei.

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Sofia/Irakli – Den ganzen Sommer über hat Waleri Simeonow am Cacao-Beach gekämpft, Dezibel gemessen, Grundbucheinträge studiert und zwischendrin seine Kabinettskollegin, Tourismusministerin Nikolina Angelkowa, bei der Generalstaatsanwaltschaft angezeigt. Am Ende verkündete Simeonow, der bulgarische Vizepremier, den Sieg über den Cacao-Beach. So nennt sich eine Open-Air-Diskothek am "Sonnenstrand", dem Epizentrum des bulgarischen Sommertourismus.

Ein bisschen zu laut für den Minister: Bulgariens Vizepremier erzwang per Gericht formal die Schließung der populären Open-Air-Diskothek Cacao Beach bei Nessebar. Selbst rechtsgerichteten Verbündeten wie Ataka-Chef Wolen Siderow ging die Anti-Lärm-Kampagne an den Stränden zu weit.
Bassel Darwish

Das Etablissement musste schließen, so wie andere, weniger berühmte auch, durfte aber gleich wieder öffnen, sofern es sich fortan an die Bestimmungen von Lärmschutz und Nachtruhe hielt. Gesetze gelten in Bulgarien für alle, schrieb Simeonow, ein rechtsnationalistischer Parteichef, triumphierend auf seiner Facebook-Seite. Das sei nun demonstriert worden. Denn die Sandstrände sind so etwas wie Bulgariens "last frontier" des Profits und des guten Geschmacks. Die letzten Gefechte um Geld und Freiheit werden dort ausgetragen. Wilde Kapitalisten gegen wilde Camper, Alkoholtouristen gegen Minister im Machtrausch. 2018 war eine harte Saison.

380 Kilometer lang ist die bulgarische Küste, eine einzige Autobahn von Pommes-frites-Papptellern und Biergläsern, Partyvolk und Beton, hin und wieder unterbrochen von Naturgebieten, die geschützt sein wollen. In der Regel vor gewieften Immobilienentwicklern. Simeonows Vorwürfe gegen die Tourismusministerin wegen illegaler Privatisierung von Staatsgrund am Meer oder Begünstigung illustrer Geschäftsmänner des Hotelier- und Yachtgewerbes lösten sich im Übrigen in Luft auf.

Saftige Bußgelder

Allerdings war auch Nikolina Angelkowa nicht untätig. Die Politikerin der konservativen Regierungspartei Gerb von Premier Bojko Borissow verhängte saftige Bußgelder gegen Strandrestaurants, die asphaltierte Parkplätze für die Kundschaft angelegt hatten, und Konzessionäre von Badestränden, die auf die Beschäftigung von Rettungsschwimmern verzichteten oder ohne Genehmigung Imbissbuden in die Dünen gerammt hatten. Zwischen 25.000 und eine halbe Million Euro im Jahr verlangt der bulgarische Staat neuerdings, je nach Größe und Lage, für den Betrieb der Schwarzmeerstrände.

Ein halbes Dutzend wilder Strände gibt es noch, lange Jahre verbissen verteidigt von Bürgerinitiativen. Alexander Pelow sitzt am bekanntesten dieser Plätze, zusammen mit Familie und Freunden. Nach Irakli, nördlich von Nessebar, wo "Sonnenstrand" und "Goldstrand" ausgefunkelt haben und die nächsten Hotelburgen erst eine Bucht weiter beginnen, kommen die Pelows schon seit 30 Jahren. Alexander war noch ein kleiner Bub, als er seine Füße zum ersten Mal hier in den Sand steckte. "Wir lieben die Natur, es ist ruhig, und die Menschen sind aufrichtig, ehrlich und offener", sagt er und wünscht sich etwas: "Man sollte die Möglichkeit haben, seine Freiheit so zu leben, wie man möchte." Die einen sollen ins Hotel und in die lauten Bars, die anderen schlafen am Strand.

Alexander Pelow erinnert sich noch an die Zeit, als es in Irakli nichts gab. Das heißt, unschätzbar viel: den langen Sandstrand und den Wald, das Meer und die Sonne. Zwei Kilometer bis zum nächsten Dorf mussten die Leute gehen, um Wasser und Lebensmittel zu kaufen. Inzwischen führt eine Fahrstraße hinunter zum Meer, auf der Autos entlanghoppeln. Ein Campingplatz mit Restaurant und Laden ist aufgetaucht. Im Frühjahr hat ein Unternehmer an einem Ende des Strandes noch schnell ein paar Bungalows mit Zaun und Rasen hingestellt. Ein Gericht wies einen Rechtseinspruch ab. Dabei ist auch Irakli Natura-2000-Gebiet, Teil der Naturgebiete, für deren Erhalt die EU Geld an die Mitgliedsländer auszahlt.

Kurze Saison

Die Saison ist kurz an der bulgarischen Küste. Von Mitte Juni bis Anfang September, kaum zwölf Wochen. Viele verdienen in dieser Zeit ihr Geld für das ganze Jahr. Das erklärt auch die Ellenbogenmentalität, mit der Hotels und Bars auf jedem freien Meter an der Küste durchgeboxt werden. Bulgarien ist immer noch das ärmste Land der EU. Weiter oben im Norden, nach Warna und in Richtung rumänischer Grenze, wo mittlerweile Hotelresorts mit Golfanlagen für betuchte Touristen am Meeresufer stehen, mag man diesen Eindruck nicht haben. Doch dann kommen noch Krapez und Schabla, einfache Orte mit Stränden, die vor allem bei den Rumänen populär sind, die ihrerseits vor den Betonburgen an der Küste im eigenen Land flüchten.

Auch dort im Norden Bulgariens wird hier und da noch "wild" gecampt. Die Einwohner, die Geld verdienen wollen, hat das zunehmend verärgert. "Die Leute auf dem Campingplatz behaupten, Umweltschützer zu sein, aber wohin geht ihr Müll? Die Gemeinde soll ihren Müll entsorgen und alleine dafür aufkommen", stellt der Betreiber eines Gästehauses in Krapez fest. Zwei Lebenswelten treffen aufeinander. Für manche esoterisch angehauchte Naturliebhaber am Strand sind die Regeln und kleinen Gebühren, die dort mittlerweile auf den Stränden eingeführt wurden, nur die Vorankündigung von Hotelbauten wie im Süden. Verbittert klagt eine 45-jährige Camperin aus Dobritsch, der Provinzhauptstadt im Landesinneren: "Die Menschen sollten uns mehr Freiheiten lassen, denn sie sind diejenigen, die etwas verschmutzen. Und zwar die Seele der Menschen." (Markus Bernath, Sofi Tswetkowa, 5.9.2018)