Jim Ford – ein genialer Songwriter von zeitloser Qualität. Immerhin drei tolle Alben hat er hinterlassen.

Light in the Attic

Ein Album Harlan County zu nennen ist ein Auftrag. Der Bezirk in Kentucky ist eine Chiffre für die Hillbilly-Kultur, also eher an Waffen als an Büchern interessiert. Hat dort eine Schnapsflasche ein Etikett, dann trinkt daraus wohl ein Fremder. In den Hügeln von Kentucky wird selber gebrannt, mit den dreckigen Nägeln, mit denen man dort auf die Welt kommt. Sucht man nach Redneck-Klischees, in Harlan County sind sie entstanden.

Aus ebenjener Nachbarschaft stammte Jim Ford. Er war eines von neun Kindern, und für seine Zukunft sah er schwarz. Weil er aber nicht Kohle buddeln wollte, bog er ab. Angeblich war er erst elf, als er gen New Orleans gezogen sein soll. Wenn's nicht stimmt, klingt's gut. Von dort zog es ihn später an die Westküste, nach Kalifornien. Es waren die späten 1960er, die Gegenkultur war in voller Fahrt, Jim Ford sprang auf den Zug auf und veröffentlichte 1969 sein Debütalbum – Harlan County.

Das Album ist ein Meisterwerk der Southern Music. Ein Hybrid aus Rock, Soul, Blues, Country und Funk, Feuerwasser und Bohneneintopf. Ford besaß die Stimme für die notwendige Autorität und die Abstammung für die notwendige Echtheit seiner Lieder.

Jim Ford – der Opener zu seinem Unissued Capitol Album: The Sounds Of Our Time.
Jim Ford - Topic

Seine Kindheit in Kentucky mag nicht aussichtsreich gewesen sein, als Nährgebiet für sein Songwriting taugte sie allemal. "I hit the road, Jack, forgot to look back. I walked all the way down to somewhere", singt er im Titelstück. In Los Angeles fand er viele, die es wie er gemacht hatten. Die Wälder von Kentucky erlebten damals schon einen Aderlass nach Westen, wo für viele das gelobte Land lag.

Hillbilly Deluxe

Dwight Yoakam singt auf seinem Album Hillbilly DeLuxe davon. Im Lied Readin', Rightin', Rt. 23 formuliert er die Hoffnungen der Hinterwäldler, diese hinter sich zu lassen, wie sie sich aufmachen und mit ihren schlechten Zähnen in den Westen ziehen.

Das Titelstück seines Debütalbums: Harlan County.
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Wer sich in das Thema vertiefen möchte, dem sei die Autobiografie von J. D. Vance empfohlen. Sie heißt Hillbilly Elegy: A memoir of a family and culture in crisis (ist auch auf Deutsch erschienen) und war in dem Jahr ein Bestseller, als Trump Präsident wurde. Es erklärte den Amerikanern zumindest diesen Teil ihres Landes, aus dem Vance kommt: die Hillbilly-Kultur von Kentucky oder Ohio; und wie die Leute dort leben und ticken.

Offene Arme

Für Ford schien drüben in Kalifornien alles gut zu laufen. In New Orleans hatte er den Funk gelernt, die Storys trug er im Herzen, Los Angeles nahm ihn mit offenen Armen auf. Er aber nahm die Ausfahrt zur Ausschweifung. Alkoholgeeicht von Kindheitstagen an, lernte er im Golden State diverse LSD-Destinationen kennen und soll Koks wie seine Geschwister zu Hause Kohle geschaufelt haben.

Jim Ford – ein Maverick des Musikgeschäfts.
matttatttack

Er lernte Typen wie Sly Stone kennen – was die Versorgung mit Marschierpulver sicherstellte. Er wurde mit Playmates für den Playboy fotografiert, war mit der Ex von Marlon Brando liiert und arbeitete in nüchternen Momenten in der Werbung. Das war gut, besser war, Songs zu schreiben. Dafür musste er nicht irgendwo pünktlich auf der Matte stehen.

Aretha und Co

Seine Lieder waren so gut, dass sein Freund Bobby Womack sie aufnahm, Aretha Franklin sang sie, die Temptations, PJ Proby (als seine Hose noch hielt) und Dutzende andere. Sein berühmtester ist Harry Hippie, den Womack Ende 1972 aufgenommen hatte und der ein Hit wurde.

Nichts gegen Bobby Womacks Version, aber nur Jim Ford singt Harry Hippie wie Jim Ford.
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Zur selben Zeit versuchte Jim Ford ein Folgealbum auf Harlan County zu veröffentlichen. 1970 hatte er eines fertig und wollte es bei Capitol veröffentlichen. Dazu kam es nicht, weil der Maverick Ford in der Chefetage von Capitol derart ausfällig geworden sein soll, dass das Gebäude an der Vine Steet bis heute rot anläuft, wenn nur sein Name in der Nähe genannt wird.

1973 spazierte er mit einem anderen Album zu Paramount rein – auch daraus wurde nichts. Ford verlor sich – und den Anschluss ans Business. Erst 2009 veröffentlichte das deutsche Label Bear Family die beiden bis dahin unbekannten Alben: The Unissued Capitol Album und The Unissued Paramount Album.

Von seinem Paramount-Album: She Turns My Radio On.
Aldhelm

Fast vier Jahrzehnte lang war Ford der Welt egal gewesen. Doch Harlan County hatte seine Fans. Einer davon war ein schwedischer Journalist. Der fand Ford in einem Trailer-Park im Norden Kaliforniens. Ford soll damals halbwegs fit und willig gewesen sein, hatte den Giften entsagt und auf Jesusjünger umgesattelt. Und er hatte seine alten Aufnahmen noch.

Sam Cookes Chain Gang klingt auch bei Jim Ford wie reines Gold.
stonecrazy

Auch das sind zwei Meisterwerke der Southern Music, Country-Soul, eingespielt mit ein paar der besten Studiomusiker ihrer Zeit. 2016 tauchte ein weiteres Album auf: Allergic To Love – das aus den 1980ern stammende Werk kommt aber nicht an die frühen Großtaten heran.

Als Ford endlich wiederentdeckt worden war, gab es Bemühungen, ihn erneut auf die Bühne zu bringen. Eine treibende Kraft hinter diesem Unterfangen war Nick Lowe. Für ihn stand und steht Ford auf einer Stufe mit Giganten wie Dan Penn oder Spooner Oldham. Da will man nicht widersprechen.

Aber nicht

Lowe wollte Ford für Konzerte nach England bringen, zudem war angedacht, dass er ein neues Album einspielen könnte, Jim Dickinson war als Produzent im Gespräch. Doch es sollte nicht sein. Am 18. November 2007 wurde Jim Ford tot in seinem Wohnwagen gefunden. Mehr Unknown-Pleasure-Potenzial geht fast nicht.

Mittlerweile ist sein Gesamtwerk neu oder erstmals aufgelegt worden. Einerseits von Bear Family und andererseits von Light in the Attic. Kann man blind kaufen – einzig Allergic to Love sollte man vorher vorhören. (Karl Fluch, 4.9.2018)