Eigentlich war an diesem Abend im Café Separ (Slang-Abkürzung für "Separatist") im Zentrum von Donezk eine Trauerveranstaltung für den russischen Politiker und patriotischen Romanzensänger Jossif Kobson geplant. Der 80-Jährige, der in Moskau als einer der größten Unterstützer der Krim-Annexion und der Separatisten in der Ostukraine galt, war an einem Krebsleiden gestorben, und nun hatte sich die politische Führung in Donezk um den Separatistenführer Alexander Sachartschenko versammelt, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Doch eine gewaltige Explosion legte das Café in Schutt und Asche. Elf Menschen wurden verletzt, und in Donezk wird nun um Sachartschenko selbst getrauert.
Tatsächlich dürften sich nun viele Menschen in der Region fragen, ob der Krieg nach dem Attentat mit neuer Gewalt zurückkehrt. Friedlich war es die letzten Jahre – auch nach dem Minsker Abkommen und diversen vereinbarten Waffenruhen – im Donbass nie, doch zumindest abseits der Frontlinie mit ihren unzähligen kleinen Scharmützeln hatte sich der Schein der Normalität, einer zugegeben armen und perspektivlosen, wieder eingestellt.
Der 42-Jährige war die zentrale Figur im Machtgefüge der von prorussischen Kämpfern ausgerufenen "Donezker Volksrepublik" (DVR), des größeren der beiden Separatistengebiete. Seit dem Sommer 2014, nachdem die aus Russland gekommenen Initiatoren des Aufstands – der Oberst des russischen Armeegeheimdiensts, Igor Girkin, und der Moskauer Politologe Alexander Borodaj – wieder abgerückt waren, agierte er als militärischer und politischer Anführer der DVR. Im November desselben Jahres ließ er sich zum DVR-Präsidenten wählen, ukrainische Parteien und Institutionen sowie proukrainische Kandidaten waren von der Wahl ausgeschlossen.
Rüge aus Moskau
In seiner Amtszeit hatte er ein straff auf ihn ausgerichtetes Verwaltungssystem in Donezk aufgebaut. Die großen politischen Entscheidungen lagen allerdings nicht in seiner Gewalt. So musste er nach lautstarken Ankündigungen über die Gründung "Kleinrusslands" – der historische Begriff für den nördlichen Teil der Ukraine, der eben auch Ansprüche auf Territorien außerhalb der von den Separatisten gehaltenen Gebiete anmeldet – schnell wieder zurückrudern. In Moskau war man in dem Fall alles andere als glücklich über das Vorpreschen Sachartschenkos. Insgesamt hingegen erwies sich der gelernte Elektriker als relativ gut lenkbar – für den Kreml.
Umso unklarer ist die Lage jetzt. Vorläufig ist Dmitri Trapesnikow, der nach dem Anschlag zu Sachartschenkos Nachfolger ernannt wurde, der Ansprechpartner für Moskau. Für wie lange er die Vollmachten innehat, ist unklar. Der 37-Jährige, der zuletzt in der Präsidialverwaltung Sachartschenkos als Verantwortlicher für Innen- und Außenpolitik tätig war, hatte vor der Abspaltung der Region als Manager gearbeitet, besitzt aber bei weitem nicht das Charisma Sachartschenkos.
Zudem spekulieren Medien darüber, dass er ein Strohmann des ukrainischen Unternehmers Rinat Achmetow sei und beim Kreml daher nicht erste Wahl. Ob er sich bei den im November von den Separatisten geplanten Wahlen durchsetzen wird, ist daher alles andere als sicher.
Machtkampf steht bevor
Denn natürlich wird es in Donezk jetzt verstärkt zum Machtkampf der einzelnen Clans kommen. Schon in der Vergangenheit wurden dabei auch einzelne Milizenführer, die nicht mehr genehm waren, von der Konkurrenz ausgeschaltet. Ein solches Szenario, wo die Warlords untereinander kämpfen, würde die DVR stark schwächen. Sollten die Attentäter von Kiew geschickt worden sein, dürften sie darauf spekuliert haben. Andererseits ist es wahrscheinlich, dass sich bei dem Machtkampf am Ende ein noch größerer Hardliner durchsetzt, als es Sachartschenko war. Dann könnte der vor sich hinschwelende Konflikt mit der Ukraine in neuer Kraft entflammen.
Der Kreml selbst warnte schon vor den "negativen Folgen" des Attentats, das in Moskau als Provokation Kiews bezeichnet wird. "Der Tod Sachartschenkos wird zweifellos zur Steigerung der Spannungen in der Region führen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Damit werde die Perspektive des Minsker Abkommens immer unklarer, fügte er hinzu.
Gerüchte über Anschluss an Russland
Sicher ist eins: Das Minsker Abkommen wird von immer mehr Akteuren in Moskau und Donezk (übrigens auf der anderen Seite auch von Hardlinern in Kiew) infrage gestellt. Die Liquidierung Sachartschenkos dürfte zu einer Verschärfung der Debatte führen. Es wird bereits darüber spekuliert, ob zusätzlich zu den Wahlen auch ein Referendum über die künftigen Beziehungen der Separatistengebiete zu Russland durchgeführt wird. Die Bitte um Anschluss – ähnlich wie bei der Krim – stünde dann wohl wieder auf der Tagesordnung. (André Ballin aus Moskau, 3.9.2018)