Am Dienstag präsentiert Sahra Wagenknecht in Deutschland ihre neue Sammelbewegung "Aufstehen".

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Am Dienstag werden das Projekt "Aufstehen" und seine Unterstützer in Berlin vorgestellt. Antje Vollmer, die ehemalige Bundestags-Vizepräsidentin der Grünen (1994 bis 2005), gehört zu den prominentesten Paten.

Ihre Motivation erklärt sie im Gespräch mit dem STANDARD so: "Die Linke ist gespalten, aber wir dürfen den Protest nicht den Rechten überlassen, sondern wollen neue Denkanstöße geben." Darin sieht sie durchaus eine Chance. Denn: "Auch die Frauen-, Friedens- und Umweltbewegungen kamen von der Basis. Wenn dort immer mehr anders denken, dann können wir die Führung der etablierten Parteien erreichen."

Letztendlich geht es darum, irgendwann doch eine linke Bundesregierung aus SPD, Grünen und Linkspartei auf die Beine zu stellen. Rechnerisch war das lange Zeit möglich, aber die Mehrheit im Bundestag wurde nicht genutzt. Seit der letzten Bundestagswahl im Herbst 2017 ist sie ohnehin verloren.

Die Notwendigkeit eines Umdenkens sieht Rudolf Dreßler vor allem bei seiner eigenen Partei. Er war in den 1980er-Jahren Vizechef der SPD-Fraktion im Bundestag, Staatssekretär im Arbeitsministerium und von 2000 bis 2005 Botschafter in Israel. Nun ist er der bekannteste Sozialdemokrat bei "Aufstehen". Drei Mal (2005, 2009 und 2017) ging die SPD in eine große Koalition, seither hat sie die Hälfte ihrer Wähler verloren, das sind 18 Millionen Menschen. Dreßler: "Aber die SPD-Führung nimmt diesen Aderlass einfach nur zur Kenntnis und macht weiter mit neoliberaler Politik."

Gegen Schröders Agenda

Seine Forderung: "Die SPD müsste gegen befristete Arbeitsverhältnisse kämpfen und gegen die einschneidenden Veränderungen im Sozialsystem, die unter Gerhard Schröder kamen." Bitterer Nachsatz: "Sie tut es nicht, und das spricht sich rum." Auch die Gestaltung der Mütterrente missfällt ihm: "Ich bin nicht dagegen. Aber es geht nicht, dass dafür Milliardenbeträge aus Beitragsgeldern finanziert werden. Da bezahlen Arbeiter und Angestellte mit ihren Rentenbeiträgen die Beamtengattin, deren Ehemann niemals einbezahlt hat. So etwas muss aus Steuergeldern finanziert werden."

Vollmer sieht nicht nur bei ihrer eigenen Partei Defizite. Sie findet, dass alle drei linken Parteien eine neue Ausrichtung nötig hätten: "Die SPD muss wieder sozialer werden, die Grünen dürfen die Friedensbewegung nicht vergessen, den Linken sollte klar werden, wie umfangreich die ökologische Krise ist." Beide – Vollmer wie Dreßler – sind übrigens von Oskar Lafontaine angesprochen worden, ob sie sich nicht der neuen Bewegung anschließen wollen. Dreßler sagt über seine Beweggründe: "In einer Zeit, in der die Führung der SPD nicht bereit ist, sich selbst auf den Prüfstand zu stellen, muss der Versuch gemacht werden, eine Bewegung in Gang zu setzen, so wie es Günter Grass und Willy Brandt in den 1960er-Jahren gemacht haben."

Skepsis gegen Führung

Politologen allerdings bezweifeln langfristige Erfolgsaussichten der Bewegung. "Sie kommt in einer Situation der Schwäche, nicht der Stärke", sagt der Soziologe Dieter Rucht. Zudem hat er Zweifel, ob Wagenknecht und Lafontaine die Richtigen sind, um der Bewegung vorzustehen. "Gegen sie gibt es viel Skepsis, sie werden eher als professionelle Parteipolitiker wahrgenommen und außerdem als Spalter." Vor allem gegen Lafontaine gibt es in weiten Teilen der SPD noch immer Vorbehalte. Schließlich war "Lafo" von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender, schied aber im Zorn und trug ab 2005 zur Gründung der Linkspartei bei. Diesen "Verrat" haben viele in der SPD immer noch nicht vergessen.

Und Wagenknechts Idee der Bewegung ist ja nichts anderes als ein Misstrauensvotum gegen die Linken-Chefs Bernd Riexinger und Katja Kipping. Die beiden sind über Wagenknechts Initiative auch nicht sehr glücklich. Kipping hat eben erst noch einmal erklärt, sie werde nicht mitmachen, weil sie ja schon eine politische Heimat – die Linke – habe.

Allerdings hat sie Wagenknecht nun Zusammenarbeit im Kampf gegen rechts angeboten. Und Vollmer meint: "Es braucht charismatische Leute an der Spitze. Die Friedensbewegung hatte ja auch Petra Kelly." Doch auch die Grüne mahnt: "Wer sammeln will, muss sammeln können. Es gilt Grabenkämpfe zu überwinden, jeder muss aus seiner Wagenburg heraus." (Birgit Baumann aus Berlin, 4.9.2018)