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Unbewegt blicken die Berge auf das Land herab. Der Dschengisch Tschokusu oder Pik Pobedy im Tian-Shan-Gebirge, das den Nordosten Kirgisistans einnimmt, und der Pik Lenina im Südwesten, wo sich das Pamir-Gebirge erhebt. Seit Urzeiten beherrschen sie die Region und interessieren sich nicht dafür, wer zu ihren Füßen regiert. Doch unten in der Ebene brodelt es wieder einmal in Kirgisistan: In der ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepublik ist ein handfester Machtkampf ausgebrochen. Die beiden Protagonisten sind Präsident Sooronbai Schejenbekow und sein Vorgänger und politischer "Ziehvater" Almasbek Atambajew.

Die Fehde um Machtgelüste, politische Eitelkeiten und Korruption spaltet die Elite und erschüttert die gesamte Republik. Dabei hatte es im vergangenen Jahr noch keineswegs nach einer Krise ausgesehen: Atambajew übergab als erster gewählter kirgisischer Präsident sein Amt freiwillig – durch Wahlen – an einen Nachfolger. Die vorherigen Präsidenten Askar Akajew (1990–2005) und Kurmanbek Bakijew (2005–2010) wurden jeweils gestürzt. "Jeder Präsident muss rechtzeitig gehen" und auch bereit sein, nach dem Ende seiner Präsidentschaft die rechtlichen Folgen eines eventuellen Amtsmissbrauchs zu tragen, hatte sich Atambajew als Gegenentwurf zu seinen Vorgängern präsentiert.

Persönliche Fehde

Eine Lehrstunde in Sachen Demokratie war die Präsidentenwahl 2017 mitnichten: Atambajew drückte seinen Wunschkandidaten, Premier Schejenbekow, mit aller – auch administrativen – Macht als Nachfolger durch. "Als Gegenleistung erwartete Atambajew, dass der phlegmatische Schejenbekow seine Marionette wird, die es ihm erlaubt, das Land weiter zu regieren", erklärte der kirgisische Journalist Ulugbek Babakulow.

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Sooronbai Schejenbekow (links) und Almasbek Atambajew bei der offiziellen Machtübergabe im November 2017.
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Doch die Rechnung ging nur ein paar Monate lang auf. Mehr und mehr emanzipierte sich der 59-jährige Schejenbekow von seinem drei Jahre älteren Vorgänger. Als er im Februar die Korruption in den Sicherheitsorganen kritisierte, kam es zum Eklat. Atambajew, der behauptete, während seiner Amtszeit die Korruption ausgerottet zu haben, reagierte beleidigt und brüskierte seinen Nachfolger: Jemand habe diesem wohl die falsche Rede vorgelegt, spottete er. Seither herrscht Krieg.

Die regierende sozialdemokratische Partei spaltete sich in dem Machtkampf, während Schejenbekow Schritt für Schritt alle Parteigänger Atambajews aus dem Amt und in die Enge drängte. Im April wurde die Regierung gestürzt, da sich Premier Sapar Isakow auf der Seite Atambajews positioniert hatte. Für Isakow gingen die Probleme damit erst los: Im Mai wurde gegen ihn Anklage wegen Korruption erhoben.

Die große Kälte

Er soll bei der Modernisierung des Wärmekraftwerks Bischkek für eine chinesische Firma lobbyiert haben. Das Ganze endete in einem Riesenskandal: 386 Millionen Dollar wurden für die Modernisierung ausgegeben. Für ein so armes Land wie Kirgisistan – 2017 lag das BIP des sechs Millionen Einwohner zählenden Binnenstaats bei sieben Milliarden Dollar – eine enorme Summe. Doch im Jänner brach die Wärmeversorgung plötzlich zusammen, bei minus 25 Grad froren Hunderttausende in der Hauptstadt.

Die Beamten schieben die Schuld seither von einem auf den anderen. Auch die Rolle Schejenbekows, der Premier war, als der Vertrag unterzeichnet wurde, ist unklar. Doch als Sündenbock muss wohl nun Isakow herhalten. Seit Juni sitzt er wegen der Vorwürfe in Untersuchungshaft.

Ein Kind spielt während den "Welt Nomaden Spielen 2018" in Kirgisistan auf einer Statue.
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Dort leistet ihm seit kurzem der Bürgermeister der Hauptstadt Bischkek Albek Ibraimow Gesellschaft. Ersetzt wurde er durch Asis Surakmatow, der bei eilends durchgeführten Neuwahlen ohne Gegenkandidaten zum Sieger erklärt wurde. Ibraimow muss sich gleich in mehreren Korruptionsfällen verantworten. Einmal soll er als Chef einer Rüstungsfabrik Geld veruntreut haben, zum anderen soll er schon als Bürgermeister Atambajew unrechtmäßig ein Grundstück zugeschachert haben.

Klar ist: Ibraimow war ebenfalls ein Gefolgsmann Atambajews. Beide stammen aus dem Norden Kirgisistans, während der im Gebiet Osch im Fergana-Tal geborene Schejenbekow ein Vertreter des Südens ist. Der Streit der südlichen Clans gegen die des Nordens ist in Kirgisistan seit der Unabhängigkeit ein beherrschendes Thema in der Politik der bitterarmen zentralasiatischen Republik.

Ethnische Konflikte

Schon die Umstürze 2005 und 2010 gingen mit Pogromen einher. Teils sind die Konflikte ethnisch begründet, da im Süden eine große Minderheit an Usbeken lebt. Der Nord-Süd-Gegensatz begründet sich aber auch in der Geschichte und der ungleichen Verteilung der Einkommen. Der ländlich geprägte Süden ist wesentlich ärmer, Verteilungskämpfe der Clans sind an der Tagesordnung.

Ende August wurde in Bischkek der 27. Jahrestag der Unabhängigkeit von der Sowjetunion gefeiert.
Foto: APA/AFP/VYACHESLAV OSELEDKO

Politisch wird es nun zumindest auch für Atambajew immer enger. Schon in Kürze könnte er selbst zum Verhör vorgeladen werden. Das Gesetzesprojekt, um ihm seine Immunität zu entziehen, liegt bereits im Parlament und soll im September beraten werden. Spätestens dann werden Atambajews Kritiker ihm seine Worte von der Bereitschaft, Verantwortung für Amtsmissbrauch zu übernehmen, genüsslich unter die Nase reiben. (André Ballin, 4.9.2018)