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Lichtermeer gegen rechts.

Foto: REUTERS/Hannibal Hanschke

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Kraftklub, eine Chemnitzer Band, organisierte das Konzert innerhalb einer Woche.

Foto: Sebastian Willnow / dpa / AFP

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Die Düsseldorfer Punkrocker Tote Hosen gaben sich ein Stelldichein.

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Auch eine Schweigeminute für das Mordopfer gab es.

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Chemnitz/Berlin – Bei einem Konzert zahlreicher Musikstars haben sich in Chemnitz zehntausende Besucher gegen Ausländerfeindlichkeit und rechtsextreme Gewalt starkgemacht. Unter dem Motto "#wirsindmehr" spielten am Montagabend Bands wie die Toten Hosen, Kraftklub und die Rapper Marteria und Casper in der ostdeutschen Stadt.

Die Stadtverwaltung gab die Zahl der Besucher mit 65.000 an, Tote-Hosen-Sänger Campino sprach am Ende des Konzerts sogar von 70.000. Nach Polizeiangaben blieb es friedlich.

Die Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung.
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Geplante Gegenveranstaltungen des ausländer- und islamfeindlichen Bündnisses Thügida und der rechtspopulistischen "Bewegung Pro Chemnitz" waren von der Stadt untersagt worden, weil die angedachten Veranstaltungsflächen bereits belegt gewesen seien.

In Chemnitz war es zuvor tagelang zu Demonstrationen von Rechtsgerichteten, Neonazis und Gegnern der Flüchtlingspolitik der deutschen Regierung sowie zu Gegenprotesten gekommen. Anlass war, dass ein Deutscher erstochen worden war, mutmaßlich von zwei Arabern, die inzwischen in Untersuchungshaft sitzen.

Lautes Zeichen

Mit dem Konzert wollten die Musiker ein lautes Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit setzen. "Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass man ein Konzert macht, und dann ist die Welt gerettet", sagte Kraftklub-Sänger Felix Brummer, der aus Chemnitz stammt, vor Beginn. "Aber manchmal ist es wichtig zu zeigen, dass man nicht allein ist."

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Der aus Rostock stammende Rapper Marteria fühlte sich an die fremdenfeindlichen Ausschreitungen von 1992 in Rostock-Lichtenhagen erinnert. Er habe jahrelang damit zu kämpfen gehabt, dass Rostock als "Nazi-Stadt" abgestempelt gewesen sei. "Mir geht es darum, dass die Leute, die aus Sachsen, aus Chemnitz sind, auch sagen können: 'Hey, ich bin aus Chemnitz', ohne dass gesagt wird: 'Ah, musst du also ein Nazi sein.'"

Die Beteiligung bei #wirsindmehr wurde auch deshalb aufmerksam beobachtet, weil beim "Trauermarsch" von AfD und Pegida am Samstag die Gegendemonstranten in der Unterzahl gewesen waren: Rechte Populisten, Radikale und Extremisten hatten 8.000 Teilnehmer mobilisiert, die Gegenseite nur 3.500.

Kramp-Karrenbauer nörgelt

Vor dem Open-Air-Konzert kritisierten CDU-Politiker die Unterstützung des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier für die Veranstaltung. "Ich halte das für sehr kritisch", sagte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer der "Welt" vom Montag. Wie zuvor ihr Parteikollege Philipp Amthor monierte sie, dass der Sozialdemokrat Steinmeier die Ankündigung der Veranstaltung auf seinem Facebook-Account geteilt hatte. Denn der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern hatte die teilnehmende Punkband Feine Sahne Fischfilet zeitweise wegen "linksextremistischer Bestrebungen" im Blick, seit längerem jedoch nicht mehr. Sie hatte in einem früheren Lied Gewalt gegen Polizisten verherrlicht. Kramp-Karrenbauer erklärte: "Was wir wollen, ist, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat gegen rechts zu schützen. Und wenn man das dann mit denen von links tut, die genau in der gleichen Art und Weise auf Polizeibeamte verbal einprügeln (...), dann halte ich das für mehr als kritisch."

Der gemeinsame Demonstrationszug der AfD mit Pegida gibt der Debatte über eine Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz neue Nahrung. Davon unabhängig nehmen der niedersächsische und der Bremer Verfassungsschutz jetzt den AfD-Nachwuchs ins Visier. "Den entsprechenden Antrag habe ich heute Früh unterschrieben", sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) am Montag. Der Bremer Senat teilte am Montag mit, dass die Junge Alternative (JA) seit der vergangenen Woche beobachtet werde.

AfD-Jugend "repressiv, autoritär und antipluralistisch"

Pistorius erklärte, die JA sei eine verfassungsfeindliche Organisation mit repressiver, autoritärer und antipluralistischer Zielsetzung. Es gebe erhebliche ideologische und personelle Überschneidungen mit der rechtsextremen Identitären Bewegung in Niedersachsen, die seit 2014 beobachtet wird. Die Entscheidung habe aber nichts mit den Ereignissen in Chemnitz zu tun.

Der Bundesvorsitzende der Jungen Alternative, Damian Lohr, kündigte rechtliche Mittel dagegen an. Dennoch habe der Bundesvorstand am Montag die Einberufung eines Bundeskongresses beschlossen, der über die Abgliederung der beiden Landesverbände – was einer Auflösung gleichkäme – entscheiden solle. "Folgt die Organisation meinem Antrag auf Abgliederung dieser Landesverbände nicht, stehe ich als Vorsitzender der JA nicht mehr zur Verfügung", kündigte Lohr an.

Der stellvertretende Parteichef Kay Gottschalk sagte: "Rechtsradikale Tendenzen sind in keinster Weise in der JA, noch in der AfD, zu dulden." Er fügte hinzu: "Sollte den Schiedsgerichten es nicht gelingen, solche Personen aus der JA zu entfernen, muss notfalls der JA der Status der offiziellen Jugendorganisation aberkannt werden."

51 Verfahren nach Chemnitz-Unruhen

Im Zusammenhang mit den Protesten und Demonstrationen in Chemnitz gibt es bisher 51 Ermittlungsverfahren. Meist sind die Täter unbekannt, teilte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden mit. Es gehe um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wie den Hitlergruß, Körperverletzungsdelikte, Verdacht des Landfriedensbruchs, Beleidigung sowie gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr durch Blendung von Polizeihubschrauber-Piloten.

Für Hetzjagden etwa auf Ausländer, vor denen Politiker gewarnt hatten, hat die Generalstaatsanwaltschaft nach bisherigem Zwischenstand keine Erkenntnisse. "Wir sichten das Material und sind mittendrin. In dem Teil, in dem wir bereits gesichtet haben, wurden keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass es solche Hetzjagden gegeben haben könnte", sagte der Sprecher. Unter anderen hatten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) nach den Auseinandersetzungen von Chemnitz vor "Hetzjagden" gewarnt. (APA, 4.9.2018)