Anblicke wie dieser gefallen den Antispeziesisten wohl nicht.

Foto: APA/CHARLY TRIBALLEAU

Épinay-sur-Orge ist wirklich nicht das, was man als den Nabel der Welt bezeichnen würde. Doch nun ist der gesichtslose Pariser Vorort auf einen Schlag in die nationalen Schlagzeilen geraten. Genauer gesagt seine Fleischhauerei: Am letzten Wochenende, um vier Uhr in der Früh, wurde sie von einem Halbdutzend vermummter Leute angegriffen. Sie warfen Steine ins Schaufenster und sprayten in gelber Farbe: "Stop spécisme" – Halt dem Speziesismus.

Fleischermeister Cédric Neveu versuchte den Tätern vergeblich nachzustellen, nachdem ihn die verdächtigen Geräusche aufgeweckt hatten. Er wusste sofort, was los war: Seit längerem werden in Frankreich immer wieder Fleischhauereien attackiert und zum Teil verwüstet. Die Graffitis lassen keinen Zweifel daran, dass die Vandalenakte radikalen Veganern zuzuschreiben sind. Sie bezeichnen sich als "Antispeziesisten", das heißt als Kämpfer wider die Diskriminierung einzelner Tierarten (Spezies) durch die fleischverzehrenden Menschen.

Angriffe seit vergangenem Jahr

Die ersten Attacken lancierten sie in Nordfrankreich im Jahr 2017. Zielscheiben waren nicht nur Fleischhauereien, sondern auch Fischgeschäfte und Restaurants, die vor allem Fleischgerichte anbieten. In Lyon wurde sogar eine Käserei beschmiert, wobei ein Graffiti lautete: "Milch ist Vergewaltigung."

Besonders viel Verständnis ernteten diese Aktionen unter den Franzosen mitnichten. Die französische Küche ist nun einmal reich an Fleisch; davon zeugen Speisen wie Filet mignon, Cordon bleu und Lyoner Wurst, aber auch Lammgigot (Keule), Hasenterrinen oder Gänseleber. Diese Delikatessen sind fester Bestandteil der französischen Gastronomie – und damit des Nationalstolzes.

Verfahren seit März

Im März eröffnete die Justiz zudem ein Strafverfahren gegen eine militante Tierschützerin. Sie hatte nach dem Terroranschlag auf einen Supermarkt bei Carcassonne durch Jihadisten getwittert, dem dabei getöteten Fleischhauer sei "Gerechtigkeit" widerfahren, da er sich gegenüber den Tieren selber wie ein "Mörder" verhalten habe.

Nun wurde den Franzosen bewusst, wie radikal die Antispeziesisten denken. In den Internetforen werden sie oft als Spinner abgetan, begleitet von der Frage, ob Frankreichs 15.000 Fleischhauereien bald Polizeischutz bräuchten. Deren sieben wurden im Frühsommer in der Gegend der nordfranzösischen Metropole Lille Ziel neuer Anschläge. Auf ihre Schaufenster wurden Beutel mit falschem Blut geworfen. Der Fleischereiverband (CFBCT) protestierte dagegen, dass "einige Personen Terror säen", und appellierte an Innenminister Gérard Collomb. Nach einem Treffen im Innenministerium ließ er den besorgten Fleischhauern Hilfe und Schutz zusagen, auch wenn er keine konkreten Maßnahmen ergriff. Alle Beteiligten setzten darauf, dass sich die Lage an der Fleischfront über den Sommer vielleicht von selbst beruhigen würde.

Der neue Anschlag auf die Fleischhauerei in Épinay-sur-Orge macht diese Hoffnung zunichte. Der "Fleischkrieg", wie er längst genannt wird, geht nach der Sommerpause weiter. Die Antispeziesisten dürften nicht sehr zahlreich sein. Ihre Sympathisanten verweisen aber darauf, dass Frankreich seit der Revolution von 1789 eine ausgesprochene Konfliktkultur aufweise; wer etwas erreichen wolle, komme nur mit spektakulären Methoden zum Ziel.

Unmut in den eigenen Reihen

Allerdings distanzieren sich selbst kompromisslose Tierschützer von den Attacken auf die Fleischhauereien. Diese Gewaltakte leisteten der ganzen Bewegung einen schlechten Dienst, meint etwa die Vereinigung L214, die gegen die Tötung von täglich drei Millionen Tieren in Frankreich kämpft und sich mit Videoenthüllungen aus Schlachthöfen einen Namen gemacht hat. Das Vorgehen der Antispeziesisten sei zwar verfehlt, stelle aber auch eine Reaktion auf die mächtige Lobby der Rinderzüchter und Jäger dar. Die habe erst vergangene Woche durchgesetzt, dass ein Veganerfestival in der nordfranzösischen Stadt Calais im letzten Moment abgesagt worden sei.

Zwischen den Fronten eingekeilt, nehmen in Frankreich allerdings immer mehr Wirte und Köche Rücksicht auf die neuen veganen Sitten. Kaum ein Feinschmeckerlokal führt in Frankreich heute noch eine Speisekarte ohne fleischloses Gericht. Neue und oft sehr kreative Angebote – wie sogar ein Camembert ohne Milch – bereichern die Gastronomie im ganzen Land.

Auch die attackierte Fleischhauerei in Épinay-sur-Orge bietet, was die Antispeziesisten wohl nicht wussten, vegane Steaks an. "Jeder soll essen können, was er will", erklärte ihr Chef Cédric Neveu. Am ersten Öffnungstag nach der Attacke kamen mehr Kunden als sonst in sein Geschäft – um aus Solidarität mit dem Fleischhauer besonders viele Fleischwaren zu kaufen. (Stefan Brändle, 4.9.2018)