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Auf dem gesamten afrikanischen Kontinent sind Kleinunternehmer aus Nigeria tätig. Europa bleibt jedoch eher Ziel für Migranten als für Exporte aus dem Land.

Foto: Reuters/AFOLABI SOTUNDE

Egal, ob man in Kapstadt im äußersten Süden Afrikas, in der kenianischen Millionenmetropole Nairobi oder in Agadaz in der Sahelzone unterwegs ist: Irgendwann landet man in einem kleinen Shop, in dem ein Nigerianer Lebensmittel, Handyzubehör oder Ersatzteile für Autos verkauft. Es sind vor allem die Igbos, die aus dem Südosten Nigerias stammen und als Unternehmer aktiv sind. Nigeria ist längst die größte Volkswirtschaft in Afrika und mit knapp 191 Millionen Einwohnern das mit Abstand größte Land.

Schon heute ist etwa jeder fünfte Afrikaner südlich der Sahara Nigerianer. Jedes Jahr wächst die Bevölkerung ungefähr um die Einwohnerzahl von Dänemark (5,7 Millionen) oder Österreich (8,7 Millionen). Genaue Zahlen gibt es nicht. Was nicht mitwächst, sind Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Institutionen wie Polizei und Armee, aber vor allem Jobmöglichkeiten für junge Menschen. Dabei haben viele Ideen, um selbst ein kleines Unternehmen zu gründen.

Hoher Preis für Gründer

"Zahlreiche Märkte sind für jüngere, aber auch ärmere Menschen schlichtweg nicht zugänglich. Wer in die Verarbeitung von Lebensmitteln einsteigen möchte, braucht möglicherweise mehr als das Startkapital, um die Behörden zu bezahlen, damit diese den Betrieb als ein Klein- und Mittelunternehmen (KMUs) klassifizieren. Die Situation ist nicht tragbar", sagt Soji Apampa, der Geschäftsführer von Integrity.

Die Organisation, die er 1995 mitgegründet hat, sitzt in Nigerias Hauptstadt Abuja, entwickelt Mechanismen zur Korruptionsbekämpfung und berät Unternehmen und Behörden. Viele Unternehmer würden jedoch schon viel früher anfangen, den Staat zu bezahlen, etwa wenn sie ihren Betrieb registrieren wollen. Das ist offiziell kostenfrei. "Ich kenne Menschen, denen das gelungen ist. Viele zahlen aber." Dafür verantwortlich sei die mangelnde Beratung für Gründer, auch Unterstützung bei der Namenssuche gebe es nicht. "Mit all dem muss ein Rechtsanwalt beauftragt und auch bezahlt werden."

Teure Registrierung

Die Kosten würden umgerechnet zwischen 47 und 237 Euro liegen. Je schlechter die Kenntnisse sind, desto teurer wird es. Bis zu 474 Euro kostet eine weitere Einschreibung des Geschäfts bei der Behörde zur Registrierung und Kontrolle von Lebensmitteln und Medikamenten (NAFDAC). Neben dem Kauf von Maschinen müsse außerdem sichergestellt werden, dass Landwirte Produkte auch verlässlich liefern. "Funktioniert das nicht, dann erhöhen sich die Kosten weiter", so Apampa. Diese Liste lasse sich fortsetzen, und Gebühren und Ausgaben würden immer unübersichtlicher. Läuft das Geschäft tatsächlich, treiben oft lange Stromausfälle die Kosten in die Höhe. Zwar stieg Nigeria im Geschäftsklimaindex der Weltbank von 2015 bis 2018 von Platz 170 auf 145. "Dennoch muss noch viel getan werden", sagt Apampa.

Diese Meinung teilt auch McEva Temofe, Gründer der Organisation Afrikanischer Wirtschaftspreis (African Economic Merit Awards), die erfolgreiche Jungunternehmer, KMUs und nichtstaatliche Organisationen berät und jährlich auszeichnet. "Die Möglichkeiten sind enorm", schätzt er. Erfolgversprechend sei vor allem der Technologiebereich. Den Agrarsektor, den die Regierung seit der Rezession 2016 und dem Niedergang des Ölpreises – Nigeria ist Afrikas größter Öllieferant – stärken will, sieht er aufgrund der Kostenintensität kritisch.

Doch gleich, in welchen Bereich investiert wird: "Es fehlt an Startkapital. Wer nicht zumindest ein wenig hat, wird nichts erreichen." Banken gewähren ohne Sicherheiten keine Kredite. Bleiben würden nur staatliche Programme wie Youwin, das auf seiner Homepage verspricht, jährlich bis zu 55.500 Jungunternehmer zu unterstützen. Prüfen lässt sich das nicht.

Ohnehin seien Förderprogramme für McEva Temofe nicht ausreichend: "Ich erwarte von der Regierung, dass diese ihre Politik ändert. Richtlinien müssen für nigerianische sowie internationale Unternehmer vereinfacht werden. Viele gehen nach kurzer Zeit wieder, weil die Bedingungen so kompliziert sind." Hauptproblem sei jedoch die mangelnde Sicherheit.

Von Edo nach Europa

Vor allem im Nordosten, wo die Terrormiliz Boko Haram weiterhin stark ist. Die Region ist auch eine der ärmsten des Landes, Geschäftsgründungen gelten als unmöglich. Nach Einschätzung der Weltarmutsuhr haben insgesamt 87 Millionen Nigerianer weniger als 1,90 US-Dollar täglich zur Verfügung. Auch in Zentralnigeria, dem sogenannten Middle Belt, sind allein in diesem Jahr durch Kämpfe zwischen Farmern, Viehhirten und bewaffneten Banden, weit mehr als 1.000 Menschen gestorben.

Dabei gelten mangelnde Jobperspektiven als Hauptgrund für Migration in Richtung Nordafrika und Europa. Die Migranten kommen allerdings nicht aus den krisengebeutelten Regionen. Dort haben sich zwar aus Angst vor Boko Haram und der katastrophalen Versorgung mit Nahrungsmitteln 1,7 Millionen Menschen auf die Flucht gemacht. Sie bleiben aber meist in der Region und gehen allenfalls in die Hauptstadt Abuja sowie in angrenzende Nachbarländer.

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Zwischen 40 bis 70 Prozent der Migranten stammen aus dem Bundesstaat Edo im Südosten des Landes. Dort gibt es eine lange Migrationstradition, und es gehört zum guten Ton, ein Familienmitglied in Europa zu haben. Die Rücküberweisungen lagen 2017 bei knapp 22 Milliarden US-Dollar. Wer einen Lkw mit gebrauchten Kühlschränken, Fernsehern und Computern nach Hause schickt, gilt als erfolgreich, als Stolz der Familie und als Vorbild.

Ökonomische Perspektiven sind entscheidend

Dass ökonomische Perspektiven entscheidend für die weitere Entwicklung der Migration sind, hat Europa mittlerweile erkannt. Als etwa die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangenen Freitag in Abuja zu Gast war, war Migration verbunden mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit das beherrschende Thema. "Vor Ort müssen Perspektiven geschaffen werden" , sagte sie. Um Jobs zu schaffen, wurden zwei Absichtserklärungen unterzeichnet, die Landwirten den Zugang zu Kapital erleichtern sollen. Außerdem gibt es Pläne, dass der deutsche Autobauer Volkswagen mit der Produktion in Nigeria beginnt.

Wirtschaftsexperte Soji Apampa vermisst trotz Zusagen von Investitionen aber den entscheidenden Schritt. "Europa muss sich für Produkte aus Nigeria öffnen", fordert er und kritisiert die schwierigen Handelsbedingungen mit der Europäischen Union. Sein Vorschlag lautet deshalb: Firmen von Jungunternehmern sollen spezielle Exportkonditionen erhalten. "Nur so kann es gelingen, anstatt von Menschen Produkte zu exportieren." (Katrin Gänsler aus Abuja, 5.9.2018)