Vier für Europa (von links): Die türkischen Minister Abdülhamit Gül (Justiz), Mevlüt Çavuşoğlu (Äußeres), Berat Albayrak (Finanzen) und Süleyman Soylu (Inneres) versprachen am Mittwoch vergangener Woche mehr Reformen, um Auflagen der EU zu erfüllen. Ankara versucht jetzt seine Beziehungen zu den Europäern rasch zu normalisieren. Es braucht Partner gegen US-Präsident Donald Trump.

Adem Altan / AFP

Für die Türkei beginnt jetzt der "deutsche Monat". Erst kommt am Mittwoch Heiko Maas, der deutsche Außenminister, nach Ankara. Dann reist der türkische Finanzminister nach Berlin, kurz bevor sein Schwiegervater Tayyip Erdoğan am 28. und 29. September einen mit einiger Spannung erwarteten Besuch bei der deutschen Kanzlerin absolviert.

Aber eigentlich ist auch griechischer, niederländischer und österreichischer Monat für die türkische Führung. Jetzt, wo die Wirtschaft unter dem Druck des US-Präsidenten wankt, will Ankara sein Verhältnis zu den Europäern so schnell wie möglich normalisieren. In der derzeitigen Währungskrise braucht die Türkei bald schon Kredite. Solidarische Worte der Europäer angesichts des Konflikts mit den USA wirken auch beruhigend auf die Finanzmärkte.

Plötzlich frei

Die Gefängnistore in der Türkei sind in den vergangenen Wochen deshalb aufgegangen. Die türkische Justiz ließ plötzlich zwei griechische Grenzsoldaten frei, die sie vier Monate lang ohne Anklage eingesperrt hat. Der Chef von Amnesty International, Taner Kılıç, kam im August nach mehr als einem Jahr aus der Untersuchungshaft und darf seinem Prozess wegen Staatsverschwörung und Terrorismus nun zunächst als freier Mann beiwohnen.

Auch die große Gefahr, die offenbar von der deutschen Journalistin Meşale Tolu gegen den türkischen Staat ausgehen musste, wurde rasch neu bewertet, als die Lira an der Börse abstürzte. Die 33-Jährige erhielt die Erlaubnis zur Ausreise mit ihrem Sohn; ihr Mann musste zurückbleiben.

"Nicht akzeptabel"

Sieben Häftlinge mit deutscher Staatsbürgerschaft sitzen derzeit aber noch in türkischen Gefängnissen, unter ihnen seit einem halben Jahr und ohne Anklage der 73 Jahre alte Enver Altayli. Das Auswärtige Amt in Berlin hält die Inhaftierung dieser türkischstämmigen Deutschen für politisch motiviert. "Nicht akzeptabel", erklärte Maas. Er wird bei seinen Treffen mit Staatschef Erdoğan und Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu die Freilassung dieser Häftlinge verlangen.

Die Menschenrechtslage in der Türkei seit dem vereitelten Putsch vom Sommer 2016 bleibt auch weiter der große Konfliktpunkt der Europäer mit der Türkei. Der Fall des seit bald einem Jahr ebenfalls ohne Anklage inhaftierten türkischen Unternehmers und liberalen Philantropen Osman Kavala gilt dabei als Symbol. Auch Kavala könnte nun freikommen, um die Gesprächsatmosphäre mit den Europäern zu verbessern.

Arm in Arm

Auf diplomatischer Ebene hat der rhetorisch oft aggressiv auftretende Außenminister Çavuşoğlu schon vor einem Jahr versucht, die Wende einzuleiten. Nazi-und Faschismusvergleiche stellt er in Bezug auf die Europäer seither nicht mehr an. Mit dem griechischen Außenminister zeigte sich Çavuşoğlu am Dienstag Arm in Arm in Izmir. Nikos Kotzias war zur Eröffnung des renovierten griechischen Generalkonsulats gekommen, das Gebäude war 15 Jahre lang geschlossen – seine Wiedereröffnung in der einstigen griechischen Metropole Smyrna hat entsprechend große symbolische Bedeutung für das Verhältnis beider Länder.

Dass Çavuşoğlu nur kurz zuvor Griechenland als "Schutzhafen für Terroristen" bezeichnet hatte und die Flüge türkischer Militärjets über griechische Inseln andauern, schien für Ankara kein Problem. Auch mit den Niederlanden erreichte die Türkei nach mehr als einem Jahr Eiszeit und zwischenzeitlich gescheiterten Versöhnungsversuchen plötzlich eine Verständigung. Botschafter werden wieder ausgetauscht. Eine förmliche Entschuldigung für die Ausweisung der türkischen Familienministerin aus den Niederlanden im Vorfeld des Verfassungsreferendums war nicht mehr die Bedingung.

Politische Pirouetten

Eine Karikatur in einer türkischen Zeitung spiegelte dieser Tage die Ermüdung der türkischen Bürger angesichts der politischen Pirouetten wider. Sie zeigte einen türkischen Familienvater in Unterhemd und Pyjamahose, der mit seiner Fernbedienung den Fernseher anschaltet: "Mal schauen, sind wir heute bei der EU oder bei den USA?"

Definitiv bei der EU. Vier türkische Minister traten vergangene Woche in Ankara gemeinsam auf, um Reformen für die Aufhebung des Visazwangs und den Fortgang des Beitrittsverhandlungen zur EU insgesamt zu versprechen. Mit dem neuen Präsidialsystem würden diese Reformen schneller umgesetzt werden, gab Çavuşoğlu im Beisein von Finanzminister Albayrak, Justizminister Abdülhamit Gül und Innenminister Süleyman Soylu an. Das Europaministerium hat Erdoğan im Zuge der Umbauten für das Präsidialregime abgeschafft. Gül und Soylu stehen auf der Sanktionsliste der USA wegen des lange inhaftierten, nunmehr unter Hausarrest stehenden amerikanischen Pastors Andrew Brunson. (Markus Bernath, 5.9.2018)