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Geißelt das Giftverspritzen: Michal Hvorecky aus Bratislava.

Foto: Jenis/picturedesk.com

Wenn Trolle ihre Schirme verlassen, um hinaus ins Freie zu torkeln, sind sie erst einmal mit Blindheit geschlagen. Der Ich-Erzähler in Michal Hvoreckys Roman Troll weiß über die Wirklichkeit in Kúkavislava (kurz: "Kúkav") wenig Anregendes zu berichten. Der Ort liegt mutmaßlich in einem Schrottland, das Ähnlichkeiten mit der heutigen Slowakei aufweist. Hässliche Regenwolken sind noch die vitalsten Besucher dieser Wüste in Bleigrau. Hvorecky ist selbst Slowake. Die Perspektive, die er gegenüber seiner Heimat einnimmt, ist die der Dystopie. Dort, wo einst Synagogen standen, wuchern in Kúkav übrigens "sympathisch anarchische Lücken".

Troll spielt in der näheren Zukunft. Das Setting des Romans sieht schlimmsten Befürchtungen, die man mit Blick auf Europa hegen kann, zum Verwechseln ähnlich. Die ehemalige Volksrepublik, die früher der "Anführer-Vater" und dessen Soziopathensohn haben verwahrlosen lassen, ist von einem nicht näher erklärten "Hybridkrieg" in eine überaus unbehagliche Zukunft geschleudert worden.

Hochburg der Restriktionen

Die Festung Europa hat ihre Zugbrücken hochgezogen. Die USA? Sind zur nicht minder finsteren Hochburg der Restriktion mutiert. Das "Reich", womit Russland gemeint ist, infiltriert die Heimat des Erzählers mit Desinformation am laufenden Band.

Natürlich laufen keine Bänder im Wortsinn mehr. Hundertschaften von Netznerds sitzen in aufgelassenen Industriehallen. Der Informationskrieg tobt in den Rechnern. Die Trolle entern die unterschiedlichsten Chatforen. Ihr einzig maßgebliches Ziel besteht dar in, missliebige Personen mit Kübeln von Unrat zu übergießen. Fake-News sind der heißeste Stoff auf einem Markt, der sein eigenes Proletariat hervorbringt. Der Zuchtmeister dieser Akkordarbeiter aber ist Gewalttäter. Er heißt Valys und sieht wie "eine Kreuzung aus dem jungen David Bowie und einem NKWD-Kommissar" aus. Die Schlachterhunde sitzen angekettet zu seinen Füßen.

Macher und Mafia

Den kleinen Roman Troll hat Hvorecky mit glühend heißer Nadel gestrickt. Man erinnert sich nicht ohne Schaudern an den slowakischen Ex-Premierminister Robert Fico zurück, der unbequeme Journalisten schon einmal als ungewaschene Prostituierte titulierte. Im Gedächtnis verankert ist auch noch die Ermordung von Ján Kuciak, der Machenschaften der Regierenden im Dunstkreis der Mafia untersucht hatte. Indizien für die Aushöhlung der osteuropäischen Demokratien gibt es.

Hvorecky aber kapert mit einigem Gelingen das Muster von 1984. Er inszeniert, etwas hastig, die Konditionierung der Menschen durch eine Sprache der Rohheit und der Mordlust. Empörungsstürme im Netz kosten unzählige Menschen das Ansehen, den Leumund, die Existenz. Und so begleiten wir einen stark übergewichtigen Doppelagenten bei dem Versuch, die Mechanismen der Meinungsmache zu stärken, um sie nachher umso wirkungsvoller bloßstellen zu können. Über hunderte Profile werden gefälschte Wirklichkeitspartikel geteilt. Alles ist möglich: Menschen werden von Trollen angeprangert, als Wüstlinge demaskiert, zu Monstren erklärt. Und durch die Hintertür halten Vorurteile in der Öffentlichkeit Einzug: als da wären Antisemitismus, Islamophobie und Minderheitenhass.

Mit ansteckender Empathie plädiert Hvorecky (41) für das Hochhalten der Wahrheit in Zeiten ihrer mutwilligen Entstellung. Der Troll-Held seines Romans bezahlt sein Überleben mit der kosmetischen Operation seines Gesichts und der Verätzung seiner Fingerkuppen. Er wird bald wieder in sein Keyboard klappern. Das Netz? Frisst seine Kinder. (Ronald Pohl, 6.9.2018)