Es ist immer wieder überraschend, mit welcher Naivität so mancher glaubt, Aussagen über das Funktionieren der EU machen zu können. Die Annahme, dass auch nur eines der in den kommenden Wochen in Österreich stattfindenden Treffen irgendeine Art von politischem Durchbruch bringen könnte, ist einfach falsch. All die – von der Bundesregierung in ihrer PR-Maschinerie durchaus zu Megaevents hochgejubelten – Veranstaltungen sind nämlich lediglich informeller Art. Bei diesen informellen Ministerräten wird – eingebettet in ein schönes Sightseeingprogramm inklusive sozialen Get-togethers – außerhalb des offiziellen Brüsseler Rahmens ein kurzer Meinungsaustausch gepflegt. Nicht mehr. Beschlüsse können und dürfen auf solchen Zusammenkünften gar nicht gefasst werden. Es handelt sich quasi um die halbjährliche Klassenfahrt der jeweiligen Fachminister bzw. Staatschefs. Wer glaubt, dass bei solchen Treffen auch nur irgendetwas politisch "flutscht", stellt lediglich seine Unkenntnis europapolitischer Arbeits- und Entscheidungsweisen unter Beweis (M. Kasy: "In der EU kann es unter Wiens Vorsitz flutschen", 26. 8.)

Gemeinsames Arbeitsprogramm

Auch die Annahme, "die Agenda wird von der österreichischen Regierung bestimmt", ist falsch. Seit dem Vertrag von Lissabon (in Kraft immerhin seit dem 1. Dezember 2009) erstellen Gruppen von je drei Mitgliedsländern ("Trioratspräsidentschaft") ein gemeinsames Arbeitsprogramm für jeweils 18 Monate. Diese Koordinierung über einen längeren Zeitraum soll die Kontinuität der Arbeit des Rates erhöhen und ist das Ergebnis jahrelanger Erfahrungen mit eher willkürlich aneinandergereihten Sechs-Monats-Arbeitsprogrammen. Österreich bildet gemeinsam mit Estland (Vorsitz im zweiten Halbjahr 2017) und Bulgarien (Vorsitz im ersten Halbjahr 2018) eine solche Trioratspräsidentschaft. Das gemeinsame Programm, das bereits am 20. Juni 2017 durch den EU-Ministerrat angenommen wurde, basiert zudem auf der "Strategischen Agenda für die Union in Zeiten des Wandels" des Europäischen Rates vom Juni 2014.

Darüber hinaus müssen auch noch das Jahresarbeitsprogramm der EU-Kommission und die Gemeinsame Erklärung der EU-Institutionen, die im Dezember 2017 verabschiedet wurde und die legislativen Prioritäten bis zu den EU-Wahlen 2019 festlegt, berücksichtigt und abgearbeitet werden. Für inhaltliche Eigenständigkeit ist da verständlicherweise nicht mehr viel Platz. Die Tagesordnungen für alle offiziellen Ministerräte für die österreichische Ratspräsidentschaft liegen zudem im Entwurf seit dem Frühjahr bereits vor und können von jedermann eingesehen werden. In den verbleibenden vier Monaten wird es daher weder "flutschen" noch irgendwelche Überraschungen geben. Der ehemalige ÖVP-Chef, Vizekanzler und Europapolitiker Erhard Busek hat es jüngst in einer Fernsehdiskussion perfekt auf den Punkt gebracht: "Die Präsidentschaft hat keinen Wert." (Stefan Brocza, 6.9.2018)