US-Präsident Donald Trump sieht sich nach dem Bericht in der "New York Times" einer noch nie da gewesenen Brüskierung ausgesetzt.

Foto: AFP / Nicholas Kamm

In "Des Kaisers neue Kleider", jenem Kinderbuchklassiker, in dem ein Regent von Schneidern übers Ohr gehaut wird und seinen Untertanen fortan im Adamskostüm gegenübertritt, bleibt es einem kleinen Kind vorbehalten auszusprechen, was niemand sonst im Hofstaat wagt: Der mächtige Kaiser, er ist nackt.

Ob der Whistleblower, der dieser Tage im Weißen Haus keinen Stein auf dem anderen lässt, seinen Hans Christian Andersen verinnerlicht hat, bleibt vorerst ebenso ein Geheimnis wie der Name des anonymen "hohen Beamten", der in der "New York Times" offenbar macht, was in den Gängen und Fluren der US-Hauptstadt seit Jahr und Tag getuschelt wird.

Die Enthüllungen sind, mehr noch als der Aufdeckerbericht der Journalistenlegende Bob Woodward tags zuvor, in Washington eingeschlagen wie eine Bombe. Einige der engsten Mitarbeiter Trumps, heißt es darin, würden "im Sinne des Landes" dem erratischen Führungsstil des Präsidenten entgegenarbeiten. Dabei sei er – oder sie – keineswegs ein Linker, versichert der Beamte.

Lobt auch Trumps Programm

Im Gegenteil, er halte das Programm der Trump-Regierung für gut, viele ihrer Maßnahmen hätten die USA schon jetzt "sicherer und prosperierender" gemacht. Doch sei der Präsident selbst nicht nur für sein Amt ungeeignet; die "Mischung aus Ignoranz, Egoismus, Engstirnigkeit, Böswilligkeit und Rücksichtslosigkeit" stelle eine Gefahr für die Republik, ihre Institutionen und schließlich auch die ganze Welt dar.

Deshalb, formuliert er, habe er sich zum "Widerstand von innen" gezwungen gesehen. Mittels Obstruktion hätten er und ein Zirkel von Gleichgesinnten einige der "schlimmsten Tendenzen" zu verhindern gewusst. Sogar der 25. Zusatzartikel zur Verfassung stehe zur Debatte – was faktisch bedeutet, dass Teile seines Mitarbeiterstabs die Präsidentschaft Trumps lieber heute als morgen zu Ende bringen wollen.

Mit seinem Bericht wolle der Beamte den Amerikanern aber auch versichern, dass neben Trump stets auch "Erwachsene im Raum" seien.

Trump fordert Auslieferung

Der solcherart Geschmähte reagierte wenig überraschend wütend auf die Enthüllungen in der "scheiternden New York Times" – und zu Beginn eher einsilbig: "Verrat?" schickte er per Twitter in die Welt. Anonyme Berichte seien feig, die Zeitung solle ihre Quelle "sofort" der Regierung ausliefern, forderte er wenig später.

Außenminister Mike Pompeo sprang seinem bedrängten Oberbefehlshaber als Erster zur Seite. Aus seinen Reihen habe niemand einen solchen Bericht verfasst. Dort, wo er herkomme, bleibe jemandem im Falle von Unzufriedenheit im Job nur eine einzige Option: Rücktritt.

Während manche, Trump eher zugeneigte Stimmen in den USA nun von einem "Staatsstreich" sprechen und den – nicht gewählten – Beamten Anmaßung vorwerfen, läuft innerhalb und außerhalb des Weißen Hauses die Suche nach dem Informationsleck auf vollen Touren. Man habe die Liste der Verdächtigen auf ein halbes Dutzend eingegrenzt, heißt es. Zur Stunde geht man im Presseamt des Präsidenten eher von einem Regierungsbeamten als von einem Mitarbeiter des Weißen Hauses aus.

Doch auch Gegner des Präsidenten sind nicht einhellig angetan von der anonymen Beichte. Dan Pfeiffer etwa, Kommunikationsberater von Barack Obama, hält den Beitrag für einen nutzlosen Versuch, "selbst in der Nacht wieder gut schlafen zu können". Andere wiederum vermuten, dass die lancierte Subversion künftig die Arbeit kritischer Beamter noch erschweren würde.

Zauberwort "lodestar"

Die Gerüchteküche brodelt derweil weiter. Weil in einem Absatz in Bezug auf den jüngst verstorbenen John McCain das eher seltene Wort "lodestar" (deutsch: Leitstern) gebraucht wird, will manch einer auf Twitter gar den höchstrangigen aller Trump-Mitarbeiter hinter der Entzauberung des Washingtoner Regenten orten: Vizepräsident Mike Pence. Dieser ließ freilich kurz darauf dementieren. Genauso wie auch Verteidigungsminister James Mattis. (Florian Niederndorfer, 6.9.2018)