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Vizepremier Luigi Di Maio wird von Vizepremier Matteo Salvini in den Schatten gestellt.

Foto: Alessandro Di Meo/ANSA via AP

Für Luigi Di Maio war der 1. Juni die "Geburtsstunde der Dritten Republik": Italiens neue "Regierung des Wandels", so der 32-jährige Chef der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, werde alles anders und besser machen als die früheren Exekutiven der korrupten Systemparteien. Di Maios Gruppierung war am 4. März mit 32 Prozent als stärkste Partei aus der Parlamentswahl hervorgegangen. Ihr Koalitionspartner, die nationalistische Lega von Scharfmacher Matteo Salvini, hatte ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 2013 auf 17 Prozent vervierfachen können.

100 Tage nach der Vereidigung ist das politische Rom in der Tat nicht wiederzuerkennen. Nicht Premier Giuseppe Conte regiert, sondern die beiden Vizepremiers Salvini und Di Maio. Kommuniziert wird fast nur über Twitter und Facebook, vor allem der Ton von Innenminister Salvini ist aggressiv. Obwohl die Zahl der Flüchtlinge schon unter dem Sozialdemokraten Paolo Gentiloni drastisch zurückgegangen war, schwadroniert Salvini von einer "Invasion".

Kaum im Amt, sperrte Salvini die Häfen für Flüchtlinge. Und als er im August über 150 Kriegsflüchtlinge zehn Tage lang auf einem Schiff festhielt, handelte er sich ein Verfahren wegen Amtsmissbrauchs und Freiheitsberaubung ein. Für den Innenminister, von Amts wegen für die Einhaltung von Recht und Ordnung zuständig, sind die Ermittlungen wie "Ehrenmedaillen".

Die Alleingänge und Tiraden Salvinis irritieren den linken Flügel der Cinque Stelle, wo es zu mindestens einem Drittel ehemalige Linkswähler gibt. Angesichts von Salvinis Popularität ist es bisher nicht zu einer offenen Revolte gekommen, doch die politischen Differenzen der beiden Koalitionspartner werden immer offensichtlicher.

Einig in der Uneinigkeit

So hatten Di Maios "Grillini" im Wahlkampf versprochen, das Stahlwerk Ilva im apulischen Taranto, eine regelrechte Umwelt-Dreckschleuder, stillzulegen. Salvini und die Lega wiederum betrachten die Ilva als "strategisch" und halten am geplanten Verkauf und an der Sanierung durch den luxemburgischen Weltmarktführer Arcelor Mittal fest. Ähnlich liegen die Dinge mit dem Projekt der Trans Adriatic Pipeline (TAP), die Italien und Europa unabhängiger von russischen Gaslieferungen machen soll, oder dem europäischen Schnellzugkorridor von Lissabon nach Kiew, der durch die Val di Susa führt: Die Protestbewegung, die ihre Wurzeln bei den Globalisierungsgegnern und in der Umweltschutzbewegung hat, will die Großprojekte zu Fall bringen – doch die wirtschaftsnahe Lega hält sie für unverzichtbar für Italien.

Eigentlich sind sich die Koalitionspartner in fast allem uneinig. Die Folge der letztlich unüberbrückbaren ideologischen Differenzen ist eine politische Blockade, die im lauten Getöse von Salvinis Ausländer-raus-Politik völlig untergeht: In den ersten 100 Tagen wurde nur ein einziges Gesetz erlassen: Das "Würdedekret" von Arbeitsminister Di Maio sieht Maßnahmen zur Beschränkung prekärer Arbeitsverhältnisse vor und erschwert die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Es wird von Wirtschafts- und Industrievertretern hart kritisiert.

Der einzige Kitt, der die beiden ungleichen Partner zusammenhält, ist ihre radikale Anti-EU-Rhetorik. "Brüssel" muss als Sündenbock für alles herhalten: Als in Genua eine Autobahnbrücke einstürzte, war das laut Salvini die Schuld des "Spardiktats" der EU-Bürokraten. Zutreffend ist das Gegenteil: Die EU hat Milliarden für die Erneuerung der italienischen Infrastrukturen zur Verfügung gestellt – und der Unterhalt der Brücke wäre ohnehin Aufgabe der privaten Autobahnbetreiberin gewesen.

"Ekelerregende" EU

Salvini hat die EU unlängst als "ekelerregend" und als "überflüssig" bezeichnet; Di Maio wollte dem nicht nachstehen und drohte mit der Streichung der italienischen EU-Beiträge. Die Populisten in Rom werden die EU auch dafür verantwortlich machen, dass sie ihre zentralen Wahlversprechen nicht werden einhalten können: die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, eine massive Steuersenkung auf einen Einheitssteuersatz von 15 Prozent, die Senkung des Pensionsalters – das alles ist laut Experten angesichts der horrenden Staatsverschuldung vollkommen unrealistisch. Die Folge wären die Zahlungsunfähigkeit und wohl der Abschied aus dem Euro.

Was auch immer schiefgehen sollte, schuld werden einmal mehr andere sein: die EU, die Finanzmärkte, die Spekulanten, die dunklen Kräfte, die sich gegen die "Regierung des Wandels" verschworen haben. Aber ganz sicher werden nicht Salvini und Di Maio schuld sein, die für die Italiener und Italienerinnen "nur das Beste" wollten. (Dominik Straub aus Rom, 7.9.2018)