Bild nicht mehr verfügbar.

60 Prozent aller Gesundheitsausgaben in Ägypten werden aus eigener Tasche bezahlt, schätzt die WHO.


Foto: REUTERS/Mohamed Abd El Ghany

Das Ain-Shams-Universitätsklinikum im Nordosten Kairos zählt zu den besten öffentlichen Krankenhäusern in Ägypten. Dennoch gehören hier Engpässe bei der Versorgung mit Gummihandschuhen oder Verbandsmaterialien zum Alltag. "Unser Kontingent an Handschuhen ist meist Mitte des Monats aufgebraucht, wir operieren und versorgen Patienten anschließend mit bloßen Händen", erzählt ein von seinen Arbeitsbedingungen genervter Arzt, der anonym bleiben möchte.

Die Infrastruktur ist marode, medizinische Gerätschaften sind veraltet. Die für Darmspiegelungen benötigten Schläuche werden teils 20-mal verwendet, erzählt der Mediziner. Auch die Abfallentsorgung funktioniert nicht. Dem Personal bleibt nichts anderes übrig, als Müllsäcke einfach aus den Fenstern zu werfen.

Am Eingang des Klinikums bitten derweil zahlreiche Menschen die Wartenden um Geld. Denn in öffentlichen Einrichtungen müssen Patienten selbst dringend benötigte Medikamente eigenständig auftreiben und aus eigener Tasche bezahlen. Sogar Blutkonserven werden nur gegen Bares ausgehändigt. Rund 60 Prozent der Gesundheitsausgaben im Land werden aus eigener Tasche bezahlt, schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Ambitionierte Pläne

In anderen öffentlichen Kliniken im Land sieht es nicht besser aus, ganz im Gegenteil. Auch daher will Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi das Gesundheitssystem grundlegend reformieren.

Ein neues Gesetz zur Einführung einer für alle verpflichtenden Krankenversicherung wurde bereits im Dezember 2017 vom Parlament verabschiedet und im Jänner in Kraft gesetzt. Seit Juli läuft die erste Implementierungsphase. Die Pläne sind ambitioniert und machen – zumindest auf dem Papier – den Anschein, dem Land stehe eine sozialpolitische Revolution bevor.

"Das wichtigste Ziel des Gesetzes ist die Herstellung einer universellen Gesundheitsvorsorge für die gesamte Bevölkerung – ohne Diskriminierung und gleichberechtigt", sagt Dr. Alaa Ghanaam von der ägyptischen Menschenrechtsorganisation EIPR dem STANDARD. Die neugeschaffene Krankenversicherung will ein progressives Beitragssystem eta blieren, Einkommensschwache von den Gebühren ausnehmen und durch die Vervielfachung der Ausgaben die Qualität im Gesundheitssektor verbessern. Das ist auch dringend nötig, denn Ägypten ist meilenweit davon entfernt, das in der Verfassung verankerte Ziel von drei Prozent des Brutto inlandsprodukts (BIP) für das Gesundheitssystem aufzuwenden.

Wer es sich leisten kann, meidet staatliche Kliniken. Der Qualitätsunterschied zum Privat sektor ist gewaltig. Ein Facharzt in einem staatlichen Krankenhaus verdient oft weniger als 150 Euro im Monat. Während unzählige Mediziner daher zusätzlich in privaten Kliniken anheuern oder eigene Praxen eröffnen und kaum noch bei ihrem staatlichen Arbeitgeber auftauchen, wandert gut ausgebildetes Personal in Scharen ins Ausland ab – nach Europa, aber vor allem in die Golfstaaten.

Das neue Gesetz will daher duale Beschäftigungsverhältnisse unterbinden. Ob das klappen wird, bleibt fraglich, denn dual Beschäftigte arbeiten in Privat einrichtungen oft ohne Vertrag und werden unter dem Tisch bezahlt. Das im Zuge des neuen Gesetzes geplante Finanzierungs modell, das durch eine Verfünfzehnfachung der Gesundheitsausgaben auch Gehaltssteigerungen für das Personal vorsieht, steht jedoch auf wackligen Beinen. Künftig sollen sich diese zu je einem Drittel aus Beiträgen, Staats zuwendungen und neuen zweckgebundenen Steuern auf Tabakwaren oder Alkohol zusammensetzen. "Diese Steuereinnahmen werden das heutige Defizit decken können, aber nicht mehr", meint der Mediziner der Ain-Shams -Klinik. Die Pläne der Regierung seien unrealistisch.

Finanzierung unsicher

Ghanaam steht derweil hinter der Reform. Aber auch er ist skeptisch bezüglich der Erfolgsaussichten. Die Regierung müsse sich langfristig zu dem Projekt bekennen. Doch das gilt nicht als gesichert, denn Ägyptens Bürokratie ist nicht dafür bekannt, Reformen auch konsequent umzusetzen. Die weitverbreitete Korruption im Gesundheitssektor dürfte das Projekt zusätzlich erschweren. Der Berufsverband der Ärzte fürchtet zudem, das Gesetz könne den Einfluss des Privatsektors auf den Gesundheitsbereich weiter ausweiten und der Privatisierung des Systems Vorschub leisten. (Sofian Philip Naceur aus Kairo, 7.9.2018)