Thomas Pölzler konzentriert sich auf gesellschaftspolitisch hochaktuelle Fragestellung.

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Das größte Problem der USA sei nicht das Staatsdefizit, sondern der um sich greifende moralische Relativismus, konstatierte der republikanische Politiker Paul Ryan. Der Grazer Philosoph Thomas Pölzler möchte in seinem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Schrödinger-Projekt herausfinden, wie weit diese Haltung tatsächlich in der Bevölkerung verbreitet ist – zunächst im Hinblick auf die amerikanische, später auch auf die europäische.

Dazu hat er in einem ersten Schritt psychologische Studien über die Vorstellungen der Amerikaner zur Objektivität beziehungsweise Subjektivität moralischer Werte analysiert. "Diese Studien weisen sehr oft systematische Fehler auf, da ihnen ein inadäquates Verständnis von Objektivität zugrunde liegt", fand Pölzler heraus. Um derartige Untersuchungen valider zu machen, hat der 34-jährige Postdoc zehn methodologische Empfehlungen formuliert.

Seit Jänner arbeitet er nun am College of Charleston in South Carolina, wo er gemeinsam mit der Psychologin Jen Wright ein neues experimentelles Studiendesign auf Basis dieser Verbesserungsvorschläge entwickelt hat. Eine erste Onlineumfrage wurde damit schon durchgeführt. Und was sagt sie über den moralischen Relativismus der Amerikaner aus? "Bisherige Untersuchungen haben nahegelegt, dass der durchschnittliche Amerikaner sehr viele moralische Urteile als objektiv erfährt, also als unabhängig von eigenen beziehungsweise kulturell dominanten moralischen Überzeugungen." Die neue Studie verweist nun auf das genaue Gegenteil: "Die meisten Probanden gingen davon aus, dass moralische Wahrheiten als relativ zu den eigenen beziehungsweise kulturell vorherrschenden Überzeugungen zu betrachten seien."

Noch einige Forschungen nötig

Was bedeutet dieser Relativismus für eine Gesellschaft? "Bei der Beurteilung dieser Haltung muss man vorsichtig sein", so der am Philosophieinstitut der Uni Graz beheimatete Wissenschafter. "Es gibt Studien, wonach moralischer Relativismus die Menschen toleranter macht, anderen zufolge führt er zu einem eher lockeren Umgang mit moralischen Prinzipien." Um hier zuverlässige Aussagen machen zu können, ist also noch einiges an Forschung nötig.

Deshalb plant Pölzler eine Untersuchung zum Einfluss einer objektivistischen beziehungsweise subjektivistischen Haltung auf die Toleranz von Menschen gegenüber moralisch Andersdenkenden. Auch das wieder in Kooperation mit der Psychologieprofessorin Wright. Mit seinem interdisziplinären Ansatz und der Konzentration auf eine gesellschaftspolitisch hochaktuelle Fragestellung hat sich der Steirer bereits einen Namen in der Scientific Community gemacht. So konnte er sein Projekt in Yale, Princeton und an der University of Pennsylvania vorstellen, im Herbst stehen dann Präsentationen in Harvard und am MIT im Terminkalender. Außerdem erschien kürzlich sein Buch "Moral Reality and the Empirical Sciences".

Dabei hat der Philosoph nicht nur die Philosophie im Kopf, wie der frischgebackene Tischtennismeister des College of Charleston gerne zugibt. Vermutlich wird man von diesem jungen Wissenschafter noch einiges hören, das die Philosophie wieder stärker ins Zentrum der Debatten und der gesellschaftsrelevanten Forschungszweige zurückholt. (grido, 9.9.2018)