Die Bludenzerin Verena Roßbacher lernte in Leipzig und lebt heute in Berlin.

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"Ich bin Diener." Mehr will Christian Kauffmann aus Feldkirch in Vorarlberg nicht. In dieser Tätigkeit findet er Erfüllung. Sich zum Diener ausbilden zu lassen ist noch heute möglich. Mag es auch merkwürdig aus der Zeit gefallen, ja skurril anmuten. Die erste Anstellung führt "Krischi", wie sein Name vorarlbergisiert wird, nach Zürich, in den großbürgerlichen Haushalt der Familie Hobbs, zu Jean-Pierre Hobbs, einem erfolgreichen, wohlhabenden seriösen Anwalt, seiner Frau Bernadette und zwei kleinen Kindern. Jean-Pierres Zwillingsbruder Gerome, ein Maler, lebt ebenfalls auf dem Anwesen, in einem zum Atelier ausgebauten Pavillon des weitläufigen Grundstücks. Christian ist ihr Diener. Also Beobachter.

Aus dem Rückblick lässt ihn Verena Roßbacher in ihrem neuen Roman "Ich war Diener im Hause Hobbs" erzählen, was ihm bei dieser Familie widerfuhr, was er erlebte: freundliche Saturiertheit, sachte Irritationen auf der Oberfläche, die in die Tiefe reichende Verwirbelungen anzeigten, am Ende einen Suizid, dem ein zweiter in Vorarlberg folgte.

Infolge des Besuchs eines Konzerts der Schubertiade hatte Bernadette Hobbs Kauffmanns Jugendfreunde in Feldkirch kennengelernt, Olli, der die Drogenberatungsstelle seines verstorbenen Vaters Charly weiterführte, Isi, eigentlich Isidor, der buddhistischer Mönch wurde, und Gösch, der nach der Matura aufbrach, um immer wieder in der Ferne zu scheitern und abzustürzen, finanziell wie emotional, und ohne Plan zurückgekehrt war.

Daraus entspannen sich neue Beziehungen. Aus denen Leben folgte. Und gleich zweimal der Tod. Jean-Pierre Hobbs wurde des Schwarzhandels mit Kunstwerken angeklagt, woraufhin er sich im inzwischen aufgelassenen Pavillon erschoss, in jenem Atelier, aus den er den Bruder hochkant hinausgeworfen hatte, nachdem sich erwies, dass dieser nicht malte, sondern Fälschungen anfertigte. Am Ende sitzt Christian wieder in Feldkirch und schreibt alles, auf die Stadt herabschauend, auf.

Konzentrierter und strukturierter

"Ich war Diener im Hause Hobbs" ist der dritte Roman der Bludenzerin Verena Roßbacher, die zuerst Philosophie, Literaturwissenschaft und Theologie in Zürich studierte, dann am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig angenommen wurde und heute in Berlin lebt.

Er ist konzentrierter als "Verlangen nach Drachen" (2009), ein Männerreigen um die Wienerin Klara, bei dem den deutschen Feuilletons die abenteuerliche Kombination aus Elias Canettis "Die Blendung" und Ödön von Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" einfiel – wieso auch nicht?, und "Schwätzen und Schlachten" (2014), ein überdrehtes, reichlich leerdrehendes Endlosparlando dreier Berliner in einem Berlin voller Österreichflüchtlinge.

Er ist strukturierter. Und als Pasticcio an Stil-, Durch- und Einfärbungslagen ist es reichhaltiger. Ihr gelingen über nicht wenige Seiten Passagen von geradezu Fontane'scher Ironie. Dann wieder ein Röntgenbild des in jeder Hinsicht unterbelichteten Krischi.

Es ist ein Roman über Kunstmachen, Kunstwollen und Fake-Lebenskunstdokumentation. Eine Geschichte von Liebe, Liebessuche, Liebesverwechslung. Zudem ist es ein ausgreifender Feldkirch-Schlüsselroman mit zahllosen Vollanspielungen, Halbporträts und Teilandeutungen.

Dienen – und mehr?

Dass die finale Auflösung, ein gleich zwiefacher Irrtum, so in die Länge gezogen wird, bis auch dem letzten Kriminalromannovizen klar geworden ist, Krischi natürlich noch lange nicht, wer zu wem in einem verwandtschaftlichen Verhältnis steht und bei wem dies elementare und existenzbeendende Folgen hat, ist dramaturgisch dann mäßig überzeugend.

Das Basisproblem dieses Romans ist aber etwas anderes. Es ist die Figur Christian, "Krischi". Er ist nicht nur ein Mann ohne Eigenschaften. Er ist das völlige Gegenteil eines Charismatikers. Er ist Beobachter aller und von allem. Und dabei ein Menschenblinder.

Man kann ihm schon bald nicht trauen, weil er vieles weder durchschaut noch versteht, ganz zu schweigen davon, dass er Sachverhalte, Bezüge, Konstellationen einzuordnen vermag. Niemals lernt er etwas. An einer solchen Figur das Geschehen aufzuhängen, ist einfach und einladend, weil vieles den Lesenden mit Verspätung präsentiert und aufgedröselt werden kann.

Doch gerade das macht den Malus aus. Weil kaum Sympathie für Krischi aufkommen will. Dafür ist er zu blass und viel zu uninteressant. Die Methode, alles von ihm präsentiert zu bekommen, entpuppt sich arg schnell als arg durchschaubar. Auch die anderen Auftretenden wollen trotz witziger Dialoge nicht ganz lebendig werden.

Am Ende stellt sich die Frage, was dieser Roman sein soll? Was er überhaupt sein will? Porträt einer hauchdünnen saturiert-bürgerlichen Schicht, deren Firnis ein dünner ist? Kunst- und Kunstfälscher-Roman? Coming-out-Geschichte? Schlüsselroman eines Vorarlberger Städtchens? Oder grundsätzlicher noch: ein Buch der Schuld, ein Roman der Sühne? Ein Drama schuldiger Väter und toter Söhne? Oder ist es Prosa, die trotz der Virtuosität eher unberührt lässt? (Alexander Kluy, 8.9.2018)