Selbsterhöhungist Chefsache, ohne sich mit Faktenwissen übermäßig zu belasten.

Illustrationen von Felix Grütsch

Illustration: Felix Grütsch

Zum neuen Normalen zählt, dass der Inhaber des Spitzenjobs im Weißen Haus nicht sein außen- und sozialpolitisches Handicap verbessert, sondern jenes im Golf. Der Polit-Darsteller ist der in Washington aus der Taufe gehobene neue Typus des Homo politicus. Einige europäische, ohnehin bereits populistisch infizierte Staaten folgen dieser Tendenz bereitwillig.

Zum neuen Normalen zählt, dass ab der Generation Y kaum mehr jemand an das Narrativ des "American Dream" glaubt; auch der US-Mythos vom Wirken der "Checks and Balances" ist brüchig geworden. Die Republikaner haben mit der 45. Präsidentschaft historische Schuld auf sich geladen, indem sie den politischen Schaden zuerst entstehen, dann metastasieren und schließlich Normalzustand werden ließen.

Der Schaden ist gekommen ...

Ab diesem Präzedenzfall wissen alle künftigen US-Administrationen, wie unendlich weit sie in ihrer Unverfrorenheit gehen können. Sie lernen jetzt neue, brachial ausgeweitete Grenzbereiche kennen, national wie international. Viele autokratisch gesonnene Polit-Imitatoren weltweit blicken gebannt nach Amerika. Die USA sind das neue Testlabor, in dem die Zugfestigkeit, Elastizität und das Überdehnen demokratischer Strukturen live und am lebenden Organismus erprobt werden.

Zum neuen Normalen zählt auch, dass für Polit-Darsteller umfassende Sachkenntnisse und intensives Aktenstudium obsolet geworden sind. Selbsterhöhung ist Chefsache, ohne sich mit Faktenwissen übermäßig zu belasten. Unumgänglich wird daher ein Stab an Leibeigenen und Vertrauten, der sämtliche Sprachregelungen wie Litaneien nachbetet und Sachfragen umgehend an Sachkundige delegiert. Dadurch wird selbst hierzulande der Weg frei für die Akkumulation zahlreicher Spitzenfunktionen in einer Person.

In Österreich existiert zu allem Überfluss auch noch ein regierungseigener Panegyriker, jene Polit-Funktion, die es bereits in der griechischen Antike gab. Dieser verfasste einst die "panegyrikoi", jene Lobreden, in der verlorene Schlachten rhetorisch kleingeredet und gewonnene Scharmützel zu epochalen Kriegsgewinnen emporgehoben wurden. Besonders die Machthaber in Rom liebten seine dreisten Lügen und Übertreibungen, denn er garantierte den schönen Schein; und wurde der Glanz einmal stumpf, eilte der Panegyriker behände herbei, um zu verherrlichen und zu polieren.

Populistischer Verkürzungszwang

Zum erschreckenden Teil des New Normal zählt auch die politische Sprache. Diese wurde dem Ruin überantwortet, indem statt differenzierten Diskurses populistischer Verkürzungszwang zu herrschen begann. Doch das müde Wahlvolk steht nicht mehr auf, wenn die Sprache der Spitzenpolitik vom Undifferenzierten über das Simple zum Banalen abdriftet. Große Teile der Erschöpften haben höchstens noch die Kraft für ein, zwei hämische Tweets. Danach erlahmt der Widerstandsgeist, und "kleine Flexibilisierungen" wie der Zwölf-Stunden-Tag werden zum New Normal, ebenso wie das schweigsame Aushöhlen des sozialpartnerschaftlichen Gefüges. Gegen solche Tendenzen wäre nur eine geeinte – keine durch Partikularinteressen fragmentierte – Opposition langfristig wirksam.

Das Bologna-System ist längst zu jenem New Normal geworden, das Universitäten von Bildungsinstitutionen zu Ausbildungscentern degradiert. Die jungen Betroffenen fügen sich stumm und beschreiten wie ein Heer von Hoffnungslosen den Weg zurück in die teils selbstverschuldete Unmündigkeit.

Indes werden bei "Es braucht Heimat" viele Menschen wieder wach. Doch der inklusive Begriff "Heimat" wurde in der Zwischenzeit bereits umcodiert. In unseren Nachbarstaaten und auch hierzulande lautet die Frage längst: Heimat gegen wen? Ein Rückgang an Asylanträgen bei gleichzeitig ansteigendem Verbalradikalismus, das ist wie Stil der Dreißigerjahre. Und nicht einmal Demutskonservative zeigen heute Berührungsängste vor völkisch Begeisterten. Auch das ist das neue Normale.

Reichten einst sprachlich gut transportierte Wahlprogramme für das Gewinnen von Mehrheiten aus, genügen künftig Bilder mit Überschriften für die kürzer werdende "attention span". Die sichtbare Erschöpfung der Massen lässt Texte wie Energieverschwendung erscheinen. "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte", wurde kürzlich auf fast perverse Weise politisch wahr: Pünktlich zur EU-Ratspräsidentschaft erhielt die österreichische Bundesregierung Nachhilfe in Message-Control: vom russischen Präsidenten, dem wahren "Herrn der Bilder".

... um zu bleiben

Dieser kam, sah und kontrollierte jene Bilder, die um die Welt gingen: Symbolik eines kleinen knicksenden Landes, das sich irrtümlich für mehr als nur eine weltpolitische Marginalie hält. Österreich, das sich offenbar immer schon nach einfachen Kurzsätzen und Boulevard sehnte, scheint endgültig bei "hat", "ist" und "macht" angekommen. Komplizierter wird es in den kommenden Jahren gewiss nicht.

Sigmund Freud, Ludwig Wittgenstein und Robert Musil wohnen hier nicht mehr. (Paul Sailer-Wlasits, 7.9.2018)