Für die Geheimdienste lohnt es sich, in Wien präsent zu sein.

Illustration: Marie Jecel

Österreich, insbesondere Wien, ist auch drei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Kriegs bevorzugtes Aufmarschgebiet von Geheimdienstlern. Drei Hauptgründe gibt es dafür: Zunächst ist Wien Uno-Stadt und Sitz zahlreicher internationaler Organisationen von Opec bis OSZE. Zudem Standort der Osteuropazentralen vieler internationaler Konzerne.

Es lohnt sich also, hier präsent zu sein. Zahlreiche Konferenzen sorgen für zusätzliche Attraktivität und die Möglichkeit unauffälliger Kontaktgespräche. Zweitens ist Spionage in Österreich nur strafbar, wenn sie sich gegen die Interessen des Landes richtet. Und die Neutralität sorgt für sicheren Boden, was sich bei regelmäßigen Agentenaustauschoperationen am Flughafen Schwechat zeigt.

Aus diesen Gründen sind insbesondere die Botschaften der USA und der Russischen Föderation, aber auch die Großbritanniens, Deutschlands, Chinas, Israels (Mossad) und Kasachstans personell gut bestückt. Denn die meisten Mitarbeiter von Geheim- und Nachrichtendiensten sind offiziell als Botschaftsmitarbeiter (etwa bei der OSZE) akkreditiert – mit dem Vorteil, diplomatische Immunität zu genießen. Tatsächlich sind diese Mitarbeiter kaum an innerösterreichischen Angelegenheiten interessiert – bestenfalls an Informationen über Hightech-Unternehmen oder Gasdeals der OMV.

Alles dokumentiert

Der Austausch über militärische Sicherheit und terroristische Bedrohungen auf internationaler Ebene steht im Mittelpunkt: Iran-Deals, Waffenlieferungen, sicherheitspolitische Einschätzungen. Das Innenministerium kommt etwa im Verfassungsschutzbericht 2017 zum Schluss: "Die Republik Österreich wird als bevorzugtes Operationsgebiet für ausländische Nachrichtendienste erachtet."

Schon 2014 zählte das Ministerium im damaligen Bericht die zahlreichen geheimdienstlichen Tätigkeiten auf österreichischem Boden auf: "Die konspirative Beschaffung umfasst die klassische Spionagetätigkeit, wie beispielsweise das Anwerben von menschlichen Quellen, den Einsatz von Agenten/Informanten, die Einschleusung von nachrichtendienstlichen Mitarbeitern in Zielbereiche, das Eindringen in Informationssysteme oder die Überwachung der Telekommunikation."

Zahlenmäßig ist Russland mit seinen Diensten SWR (zivil) und GRU (militärisch) am stärksten präsent. Neben Botschaft, Konsulat und offiziellen Büros gibt es in Wien zwei große Wohnkomplexe, die auch von Mitarbeitern mit Geheimdiensthintergrund genutzt werden. Mehrere Hundert Personen kommen in der Liegenschaft Erzherzog-Karl-Straße 182 unter – das Wohnheim Sternwartestraße 74 ist ebenfalls großzügig dimensioniert. Tennisplätze, Park und Sauna bieten beide. Russland ist deshalb mit so vielen Mitarbeitern vor Ort, weil es das "Boots on the ground"-Prinzip – also menschliche Präsenz – verfolgt und weniger auf technische Abhörung setzt.

Schlüsselrolle des BVT

Anders die Amerikaner, die sich in jüngster Zeit von einigen Liegenschaften getrennt haben (NSA-Villa in Pötzleinsdorf, Compound im Döblinger Cottage, Liegenschaft Obersteinergasse). Ihnen ist die Telekommunikationsüberwachung wichtiger, wie etwa die Abhöranlagen auf dem IZD Tower neben der Uno-City oder auf dem Dach der Botschaft in der Boltzmanngasse zeigen. Nichtsdestoweniger sind CIA und NSA auch physisch in Österreich verankert.

Kasachstan war in den vergangenen Jahren vor allem rund um die Causa Rachat Alijew in Österreich aktiv. Der mittlerweile im Gefängnis aus dem Leben geschiedene Ex-Schwiegersohn des kasachischen Machthabers Nursultan Nasarbajew war selbst Geheimdienstler und Botschafter – bevor er sich vom Regime abwandte. Bis zu seinem Tod war er wegen Mordvorwürfen Angelpunkt von Agentencoups, die bis zu Entführungen auf offener Straße in Wien reichten.

Das BVT spielte in der Affäre eine Schlüsselrolle – inklusive Aktenweitergabe und Bewachung Alijews bei einem Zivilprozess. Hier spielt auch die Rolle des renommierten Rechtsanwalts Gabriel Lansky, der sowohl Mandanten mit wirtschaftlichen Interessen in Kasachstan als auch einen Verein, der Witwen des bereits erwähnten Mordfalls vertritt, hinein. Lanskys Akten wurde damals beschlagnahmt – dieser Vorgang ist auch Thema im aktuellen Untersuchungsausschuss.

Reisepässe und Geldwäsche

Nordkorea ist ebenfalls ein Player im Spionagespiel. Stichwort: Reisepasslieferungen an Südkorea durch das BVT, Embargobrüche mit Wien-Bezug und Geldwäschevorwürfe rund um die mittlerweile aufgelassene Golden Star Bank in der Kaiserstraße. Entsprechend ist die Botschaft des Regimes im 14. Bezirk personell gut mit Geheimdienstlern bestückt.

Treffpunkt der Geheimdienst-Community sind Zigarrenlounges, Fünfsternehotels am Ring und die Bars von Nobel-Italienern. Hier halten vor allem jene Hof, die bereits pensioniert oder als private Nachrichtenhändler unterwegs sind. Gelegentlich finden sich aber auch aktive Mitarbeiter von Heeresnachrichtenamt, Abwehramt oder BVT zum Informationsaustausch ein.

Das Agentengeklüngel erfolgt auch deshalb so klischeehaft-protzig, weil es um die Vermittlung von Status und Wichtigkeit geht. Daher sind auch gute Anzüge, teure Uhren und ein leicht arrogantes Gehabe Usus in der (überwiegend männlich dominierten) Branche. Im Übrigen schätzen auch Spione die Lebensqualität in Österreich. Eine Beförderung zum Standort Wien gilt in der Szene als Auszeichnung.

Die, die schon immer hier waren – also Österreichs Dienste aus Verteidigungs- und Innenministerium -, kämpfen freilich mit aneren Problemen: notorischem Personalmangel, auch wenn der genaue Mitarbeiterstand geheim bleibt und nur auf mehrere Hundert geschätzt werden kann. Österreichisches Spezifikum dabei: Wie es sich für echte Ämter gehört, gibt es natürlich auch Personalvertreter – und zwar nicht nur, wie häufig im Sicherheitsbereich, mächtige FPÖ-nahe, sondern auch grüne.

Abhängig von Kooperation

Während das Abwehramt bis auf die Cyber Defense Unit ein wenig im Schatten steht, macht das Nachrichtenamt vor allem mit seinen Abhöranlagen regelmäßig Schlagzeilen. Am bekanntesten ist der Horchposten Königswarte bei Hainburg. Einst als Ohr zum Osten konzipiert und mit US-Geldern aufgebaut, geht es heute um die Überwachung von Satellitenkommunikation. Auch hier stellen die Amerikaner Technik und Ressourcen bereit (NSA) – im Gegenzug erhalten sie Zugriff auf die Daten.

Ein entsprechender Rahmenvertrag des Bundesheers war bereits mehrfach Thema im Parlament bzw. von staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen Neutralitätsgefährdung. Eine weitere Anlage gibt es auf dem Kohlreitberg bei Neulengbach. Hier wird mit Antennen auf terrestrische Kommunikationskanäle gezielt – die nötigen Empfangsanlagen liegen mehrere Stockwerke unter Tag.

Nachrichtendienste leben von Informationsaustausch. Gerade dann, wenn es um terroristische Bedrohungen geht. Von diesem Austausch sollen nach der BVT-Razzia die Austro-Agenten nun abgeschnitten sein.

Tatsächlich sind die Österreicher mangels eigener Ressourcen auf die enge Zusammenarbeit mit internationalen Partnern angewiesen. Das Misstrauen dieser Partnerdienste gegenüber den heimischen Behörden war aber schon seit Jahrzehnten ausgeprägt. Der BVT-Vorläufer Staatspolizei galt bis in die 1980er-Jahre als von DDR- und sonstigen Ost-Agenten unterwandert.

In jüngerer Vergangenheit sorgten vor allem Pannen für Spannungen. Etwa die Vorgänge rund um Shukri Ghanem, einen libyschen Ex-Minister und Top-Manager aus dem engsten Gaddafi-Umfeld, der unter ungeklärten Umständen 2012 tot aus der Donau gefischt wurde. Der in Wien wohnhafte Mann soll vor seinem Tod von ausländischen Diensten ohne Gegenmaßnahmen des BVT "abgeschöpft" worden sein. Als Nachrichten über die Gefahr einer bevorstehenden Ermordung an die Österreicher weitergegeben wurden, blieben diese untätig. (Florian Horcicka, 9.9.2018)