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2010 wurde ein Lehman-Schild bei Christie`s versteigert.

Foto: AFP/Picturedesk/Ben Stansall

Nie wieder. Als die ärgsten Schockwellen der Lehman-Pleite im September 2008 und der Finanzkrise abgeklungen waren, herrschte Einigkeit: Eine Wiederholung dieses Wahnsinns muss ausgeschlossen werden. Es galt, jenes ungezügelte Spekulieren zu unterbinden, welches die Weltwirtschaft an den Rand des Kollapses geführt hat.

Dieses ambitionierte Ziel wurde laut Experten großteils erreicht. Und zwar in dem Sinn, dass eine neuerliche Finanzkrise in ähnlicher Form durch die Regulierungsmaßnahmen beiderseits des Atlantiks wohl nicht mehr ausbrechen könnte. Echte Krisenresistenz wurde aber nicht geschaffen.

Auch heute haben Banken und Finanzmärkte Achillesfersen, die womöglich noch gar nicht zu erkennen sind – so wie damals die Schwachstellen und Schlupflöcher im System erst durch die Finanzkrise offen zutage traten.

Dem Keim der Krise lag nämlich eine eigentlich erfreuliche Entwicklung zugrunde, ein Aufschwung am US-Häusermarkt in den 2000er-Jahren. Um die Rezession nach dem Internethype der Jahrtausendwende abzufedern, hatte die US-Notenbank die Zinsen auf ein Prozent gesenkt – damals ein rekordtiefes Niveau. Das blähte den Immobilienmarkt weiter auf und lockte neue Käufer an.

Sündenfall Subprime

Hauskäufer von immer schlechterer Bonität, das Subprime-Segment, erhielten Kredite, und es war absehbar, dass diese nicht rückzahlbar sein werden – Banker dafür bekamen Boni.

Dem wurde ein Riegel vorgeschoben, erklärt Wifo-Experte Thomas Url: "Ein Bonus wird erst nach Jahren ausgezahlt, wenn das Kreditrisiko nicht schlagend wird."

Um die schlechten Kredite aus der Bilanz zu bekommen, wurden sie mit guten zu Paketen geschnürt, von Ratingagenturen mit Bestnoten versehen und wider besseres Wissen weiterverkauft – auch an europäische Banken, die der Verlockung von hohen Zinsen und Toprating nicht widerstanden. Diese "Too-good-to-be-true-Deals" erwiesen sich auch als solche – womit die Krise in Europa angekommen war. Der folgende Vertrauensverlust brachte den Geldmarkt zum Erliegen. Institute, die langfristige Kredite dort refinanzierten, gerieten in Existenznot.

Sündenfall Lehman

Ex-Lehman-Chef Richard Fuld bei einer Anhörung in Washington.
Foto: imago

Richtig lag Lehman-Chef Richard Fuld zwar mit der Einschätzung, sein Haus sei "too big to fail", jedoch falsch in der Annahme, die US-Regierung unter George W. Bush würde es deshalb retten. Lehman musste Insolvenz anmelden.

"Das war der Moment, in dem die Probleme im Bankensektor zu groß wurden, Panik ausbrach und das gesamte Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs geriet", erinnert sich Martin Gilbert, Chef des Fondshauses Aberdeen Standard Investments. Die US-Regierung rettete danach alle größeren Banken, ebenso den Versicherungsriesen AIG.

Sündenfall CDS

Dieser hatte über eine kleine Banktochter in großem Stil Kreditausfallsversicherungen (CDS) verkauft, die nun ebenfalls lichterloh zu brennen begannen. Für Wifo-Mann Url ein Versagen der zuständigen Sparkassenaufsicht mangels Know-how. Das könne nun nicht mehr passieren, denn: "In den USA wurde die Aufsicht der Institute stärker zentralisiert."

Und entscheidend verschärft, betont Michael Widowitz, Risikoexperte bei Boston Consulting. Früher sei das Risikomanagement in Banken vernachlässigt worden. "Das ist nicht mehr so, weil das zu existenzbedrohenden Strafen führen kann", sagt Widowitz mit Blick auf jene 350 Milliarden Dollar an Bußen, die Banken nach der Finanzkrise aufgebrummt wurden. Zudem hebt er die zügige Abwicklung von hunderten kleineren US-Banken hervor, was zur raschen Marktbereinigung geführt habe – während es in Europa weiterhin zu viele Banken gebe.

Schneller und konsequenter haben die USA laut Gunther Reimoser, Partner bei der Beratungsfirma EY Österreich, ihre Maßnahmen umgesetzt: "Dadurch sind die US-Banken sehr schnell wieder erstarkt." Soll heißen: Sie erzielen höhere Gewinne und verfügen über mehr Eigenkapital. "Grosso modo waren die Schritte nicht falsch", sagt Reimoser, trotz der Klagen der Banken über die starke Regulierung in Europa. Aber: "Ob die Dosierung richtig war, darüber kann man diskutieren."

Laut dem Berater entwickle sich der Bankensektor in Europa und in den USA "in eine gute Richtung". Risikomanager Wodowitz verweist auf generell gestiegene Kapital- und vor allem Liquiditätspuffer, was Banken weniger anfällig mache. "Alle sind grundsätzlich gut aufgestellt, aber was bei einer Panik passiert, weiß keiner." Auch Wifo-Experte Url sieht zwar derzeit "keine großen Gefahren". Er hält aber Investmentbanken für problematisch: "Die sind immer auf der Suche nach Dingen, mit denen man Geld machen kann."

Die Gier der Menschen lässt sich eben nicht regulieren. (Alexander Hahn, 9.9.2018)