Der Tausender mit Schrödinger ist seit April wertlos, über seine Ideen, die er 1943 in Dublin formulierte, wird bis heute diskutiert.
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Sollten Sie noch einen oder mehrere "Schrödingers" zu Hause haben oder noch finden, zuerst die schlechte Nachricht: Der 1000-Schilling-Schein (rechts ein Ausschnitt) ist seit heuer leider nurmehr das Papier wert – und nicht mehr 72,67 Euro.

Hat der Schrödinger-Schein seine Gültigkeit am 20. April dieses Jahres verloren, so haben etliche seiner wissenschaftlichen Ideen, Konzepte und Formeln bis heute nicht an Wert eingebüßt, allen voran natürlich die nach ihm benannte Gleichung, eine der theoretischen Grundlagen der Quantenphysik, die ihm 1933 auch den Nobelpreis eintrug. Noch populärer ist Schrödingers wohl bekanntestes Gedankenexperiment, Schrödingers Katze, mit der er die kontraintuitiven Gesetze der Quantenmechanik auf Gegenstände des täglichen Lebens übertrug.

Drei Vorträge mit Folgen

Auf ganz andere Weise einflussreich wurde ein kleines Büchlein, das ein halbrundes Jubiläum feiert: Ziemlich genau 75 Jahre, bevor der Schrödinger-Tausender entwertet wurde, hielt der Physiker in Dublin eine vielbeachtete Vortragsreihe zum Thema "What Is Life?". Und dieses Jubiläum wiederum nahm man in Irland zum Anlass, um am Mittwoch und Donnerstag im Rahmen des Symposions "Schrödinger at 75 – The Future of Life" eine Reihe wissenschaftlicher Koryphäen (darunter sechs Nobelpreisträger) einzuladen, um die inspirierenden Ideen des Physikers zu würdigen.

Tatsächlich gilt der kleine Band, der auf die drei Vorträge zurückgeht, die Schrödinger im Februar 1943 vor rund 400 Zuhörern hielt, zu den einflussreichsten populärwissenschaftlichen Sachbüchern des 20. Jahrhunderts – und das, obwohl sich Schrödinger, der 1938 vor den Nazis nach Irland geflüchtet war, gleich einleitend dafür entschuldigte, sich als Physiker dem Thema Biologie zu widmen: Schließlich erwarte man von einem Mann der Wissenschaft, dass "er von einem Thema, das er nicht beherrscht, die Finger lässt".

Anregende Grenzüberschreitung

Doch in dem Fall war das Ergebnis dieser disziplinären Grenzüberschreitung in vielerlei Hinsicht anregend: Der Boltzmann-Schüler Schrödinger ging etwa auf die Thermodynamik ein und formulierte im Bezug auf das Leben das Konzept einer "negativen Entropie": Hier werde Ordnung aus Ordnung geschaffen, die im Laufe der Evolution seiner Meinung nach sogar zunehme.

Vor allem aber entwickelte Schrödinger in diesem Buch die damals revolutionäre Idee eines "Code-Skripts" – einer Art von genetischem Programm. Konkret heißt es, dass in den Chromosomen "in einer Art Code das vollständige Muster der zukünftigen Entwicklung des Individuums und seines Funktionierens im Reifezustand enthalten" ist. Der ganze Code sei in jedem vollständigen Chromosomensatz enthalten, und er sei es auch, der lebende Organismen konstituiere, weil er die zelluläre Organisation und die Vererbung steuere.

Diese und einige andere Ideen in diesem Buch fielen auf höchst fruchtbaren Boden und übten enormen Einfluss auf die Genetik und die gerade erst entstehende Molekularbiologie aus. Typisches Beispiel ist ein Brief, den Francis Crick nach der Entdeckung der Struktur der DNA 1953 an Schrödinger schickte: Er und sein Mitentdecker James Watson seien von Schrödingers kleinem Buch beeinflusst gewesen.

Einfluss auf Karrieren

Für Watson war es ein wichtiger Grund dafür, von der Ornithologie in die Genetik zu wechseln. Andere Pioniere der Molekularbiologie wie Seymour Benzer oder Maurice Wilkins hat What Is Life? ebenfalls dazu motiviert, sich von der Physik ab- und diesem neuen Forschungsfeld zuzuwenden.

Neben diesen individuellen Lektüreeinflüssen war es womöglich aber eher der "Geist" des Buchs als seine Substanz, der es zum Wissenschaftsklassiker machte. Andere Pioniere zeigten sich im Nachhinein nämlich etwas zurückhaltender, um es höflich zu formulieren: Anlässlich Schrödingers 100. Geburtstags im Jahr 1987 etwa hielt Doppel-Nobelpreisträger Linus Pauling Schrödingers Idee der "negativen Entropie" für einen "negativen Beitrag" zur Biologie.

Noch harscher fiel das Urteil seines Nobelpreis-Kollegen Max F. Perutz aus, der so wie Schrödinger aus WIen stammte und in Cambridge das bedeutendste Institut für die frühe Molekularbiologie gründete: "Was in dem Buch wahr war, war nicht originell. Und das meiste, was originell war, galt sogar schon damals als nicht als wahr, als das Buch geschrieben wurde." (Klaus Taschwer, 8.9.2018)