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Donald Trump hat als US-Präsident das Land in eine tiefe Krise geführt.

Foto: AP / Susan Walsh

Es sind vier dunkle Gestalten, die an einem Strick ziehen. Haben sie Böses im Sinn? Im Gegenteil. Das zum Zerreißen straff gespannte Seil ist der Schicksalsfaden der Vereinigten Staaten von Amerika. Damit versuchen die vier verzweifelt, ihr Land vor einem Sturz über die Klippen zu bewahren.

Mit einem solchen Schattenriss hat die "New York Times" diese Woche einen Gastkommentar illustriert. Darin schreibt ein – anonymes – Mitglied der US-Administration über ein Widerstandsnest in der Trump-Regierung, das die Politik des Präsidenten nicht nur zu hintertreiben, sondern gelegentlich auch zu verhindern versucht.

Denn: "Die Wurzel des Problems ist die Amoralität des Präsidenten. Jeder, der mit ihm arbeitet, weiß, dass er keinen erkennbaren Grundprinzipien folgt, die seine Entscheidungsfindung leiten." Deshalb glauben die Widerständler, "dass wir zuallererst dem Land dienen müssen und tun, was wir können, um unsere demokratischen Institutionen zu schützen, indem wir fehlgeleiteten Impulsen Herrn Trumps entgegenwirken, bis er nicht mehr im Amt ist".

Institutionelles Multiorganversagen

Das Schreiben liest sich wie ein Dokument eines administrativen Staatsstreichs. Es ist der jüngste Beleg für eine Art institutionelles Multiorganversagen in der ältesten Demokratie moderner Prägung. Die "Times" hat nicht übertrieben: Die USA, sie stehen tatsächlich am Abgrund. Donald John Trump hat sie in eine konstitutionelle Krise geführt, die das Land kaum je gesehen hat. Politische Zerfallsszenarien altrömischen Ausmaßes tun sich auf. Begonnen aber hat alles schon lange vor diesen für Amerika so bitteren Septembertagen.

"Make America great again." Am 15 Juni 2015 kündigte der New Yorker Immobilien-Tycoon an, bei den Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner anzutreten. Am 26. Mai 2016 hatte er eine Mehrheit der Delegiertenstimmen auf sich vereint – und spätestens ab diesem Zeitpunkt auch die ohnehin schon wunderlich gewordene "Grand Old Party" in Geiselhaft genommen.

Als Trump im November auch die Präsidentschaftswahl gewinnt, werfen sich die Republikaner beinahe geschlossen vor ihrem Dompteur in den Staub. Es sind Macht und Einfluss, es sind Jobs zu vergeben.

Checks and Balances ausgehebelt

Daneben bleiben die "Checks and Balances", die von den Amerikanern stets so gepriesene Kontrolle der Exekutive durch die Legislative und Judikative, auf der Strecke. Handelskriege, Klimapolitik, Auflösung des Iran-Deals und die Transpazifische Partnerschaft, Schuldenpolitik und die Beleidigung jahrzehntelanger Verbündeter – Trump kann seine Launen ausleben.

Bis auf wenige Aufrechte im Kongress um den eben zu Grabe getragenen Senator John McCain gibt es keinen republikanischen (und damit keinen überparteilichen) Widerstand. Die Republikaner machen im "alternative facts"-Zirkus brav Männchen, wenn Trump mit der Peitsche knallt.

Nur unter der Hand wird das Murren nach einigen Monaten Trump im Weißen Haus lauter. Es stellt sich heraus, dass sich der Narziss im Präsidentenamt nicht von Bürokratie, Interessen und Usancen in Washington einhegen lassen wird. Auch eine "Militarisierung" der amerikanischen Machtzentrale, mit James Mattis als Chef im Pentagon, Raymond McMaster als Nationalem Sicherheitsberater und John Kelly als Stabschef im Weißen Haus, schlägt weitgehend fehl.

Der "verdammte Idiot" ("fucking moron", Copyright: der inzwischen geschasste Rex Tillerson) ist nicht zu kontrollieren. Je nach Einschätzung bleibt er unberechenbar bis unzurechnungsfähig.

Ohne jeden Genierer

Seit dem Abgang seines Chefeinflüsterers Stephen Bannon im Sommer 2017 scheint er sich in seinen Königsdisziplinen Ignoranz und Ruchlosigkeit sogar noch zu steigern. Trumps Schatten lässt es immer finsterer werden in den USA.

Musste die Umgebung Richard Nixons Ende der 1960er und in den 1970er-Jahren noch verstecken, dass der Präsident zuweilen ein unzurechnungsfähiger Säufer war (Henry Kissinger verhinderte einen Nuklearangriff auf Nordkorea, indem er Nixons Befehl ignorierte und mit dem Generalstab übereinkam, den Präsidenten erst einmal seinen Rausch ausschlafen zu lassen), kann Trump ohne jeden Genierer handeln. Die "Tell-all"-Bücher, die über ihn herauskommen, scheinen nur marginal Einfluss auf seine Beliebtheitswerte zu haben.

Bei Michael Wolff ("Fire and Fury") bezeichnet immerhin Bannon den Präsidenten wegen seiner Russland-Kontakte als "unpatriotisch" und "verräterisch". Und Bob Woodward ("Fear") berichtet über die katastrophale Stimmung in Washington, wo Verteidigungsminister Mattis seinem Chef die Auffassungsgabe eines Fünftklässlers zubilligt und Trump inzwischen als "Bürgermeister von Crazytown" firmiert.

Michael Wolff: "Fire and Fury: Inside the Trump White House", 312 Seiten, Henry Holt and Co.
Cover: Verlag
Bob Woodward: "Fear: Trump in the White House", 448 Seiten, Simon & Schuster
Cover: Verlag

Weil selbst Sonderermittler Robert Mueller, der hochangesehene frühere FBI-Chef, Trump vorerst wegen dessen Russland-Connection juristisch nichts anhaben kann, versuchen die Demokraten nun, die Zwischenwahlen im November zu einem Referendum über den Präsidenten zu machen. Deswegen steigt inzwischen der bisher eher schweigsame Vorgänger Trumps, Barack Obama, wieder in den politischen Ring. Denn je mehr Demokraten zu den Urnen schreiten, desto größer ist die Chance, dass sie die Mehrheit im Senat und Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückgewinnen. Einem Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) wäre der Präsident dann deutlich näher als zum jetzigen Zeitpunkt – vorausgesetzt, Sonderermittler Mueller stellt etwa eine Behinderung der Justiz durch Trump und/oder seine Umgebung in den Ermittlungen über russische Manipulationen bei der US-Präsidentschaftswahl fest.

"Wir machen einen großartigen Job"

Trump selbst reagiert auf die Widerständler, die er selbst in sein Team geholt hat, wie gehabt: "Wir machen einen großartigen Job, die Umfragewerte schießen durch die Decke. Und wisst ihr was, niemand wird 2020 nahe genug an mich herankommen, um mich zu schlagen", sagte er vor der "Lügenpresse" in Washington.

Nach allem, was bisher in den USA geschah, könnte er damit recht haben. Dann hieße es: Widerstand zwecklos. (Christoph Prantner, 7.9.2018)