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Eine Straßenszene in Khartum, abseits des modernen Zentrums. Der Bub Gassim weiß sehr wohl, was er sich für die Zukunft wünscht: Er will einmal bei Bayern München Fußball spielen.

Foto: Reuters / Mohamed Nureldin Abdallah

Der Sudan erlebt so etwas wie ein Déjà-vu: Hofübergabe abgesagt, hieß es, als Präsident Omar al-Bashir im Jahr 2015 trotz früherer Rückzugsankündigungen zu den Präsidentschaftswahlen antrat, die er dann mit 94,5 Prozent gewann (was immer das unter sudanesischen Umständen heißt). Die Verfassungsänderung von 2005, die die Präsidentschaft auf zwei Perioden beschränkte, war so ausgelegt worden, dass Bashirs "erste" 2010 begann. Endgültig Schluss sollte für Bashir, der sich 1989 an die Macht geputscht hatte, im Jahr 2020 sein.

Langer Rede kurzer Sinn: Omar al-Bashir wurde im August zum Kandidaten seiner Partei NCP (National Congress Party) für die Präsidentschaftswahlen 2020 gekürt. Die nötige Verfassungsänderung schafft die NCP locker, sie hat im Parlament 83 Prozent der Sitze.

Kritik aus Regimekreisen

Im Gegensatz zu früher wird aber erstmals ziemlich offene Kritik sogar aus Regimekreisen laut: Eine bereits länger andauernde Unruhe im Umfeld des Präsidenten wurde durch Personalrochaden im Frühjahr manifest, die die Armee, Geheimdienste, aber auch Ministerien betrafen. Außenminister Ibrahim Ghandour etwa wurde gefeuert, nachdem er verlauten ließ, dass sudanesische Diplomaten im Ausland seit Monaten kein Geld mehr erhielten.

Denn dem Sudan geht es schlecht, den normalen Menschen viel schlechter als der Elite, die die Wirtschaftskrise jedoch auch zu spüren beginnt. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Dass die Transition in eine Post-Bashir-Ära weiter hinausgezögert wird, wirkt lähmend und zerstört das letzte Vertrauen in die Zukunft. Viele wollen einfach nur weg.

Dabei hatte das Land in den 2000er-Jahren, als es wegen des Kriegs in Darfur oft in den Schlagzeilen war, zumindest vielversprechende Wachstumszahlen. Sie kippten 2011, als sich der Südsudan nach einem Unabhängigkeitsreferendum abspaltete: Drei Viertel der sudanesischen Erdöleinnahmen, wichtige Devisen, waren weg. Während das baldige Abgleiten des Südsudan in einen Bürgerkrieg in Khartum Genugtuung hervorgerufen haben mag, zahlte der Norden aber auch dafür einen hohen Preis: Die Gebühren, die der Sudan für den Transit südsudanesischen Erdöls einheben sollte, blieben ebenfalls aus.

Radikaler Politikwechsel

Immerhin wurden 2017, nach zwanzig Jahren, zumindest die US-Sanktionen aufgehoben. Khartum hatte einen radikalen Politikwechsel zurückgelegt, was seine Allianzen anbelangt. Die Iraner, die den Sudan als Brückenkopf für die Versorgung ihrer Klienten wie der Hamas benützten, wurden mehr oder weniger aus dem Land geworfen. Der Sudan schloss sich der saudisch-geführten Koalition an, die seit März 2015 im Jemen die vom Iran unterstützten Huthis bekämpft.

Mehrere Tausend Sudanesen kämpfen seitdem im Jemen – und nicht wenige sterben in diesem Krieg. Auch dazu gibt es immer öfter Kritik, auch politische, denn der Präsident holte für diesen Einsatz nie die Zustimmung des Parlaments ein. Als sich die erhoffte Dividende – finanzielle Zuwendungen – als unzureichend herausstellte, drohten sudanesische Politiker im Frühjahr erstmals mit dem Rückzug.

Energiekrise

Seitdem versucht Saudi-Arabien, mit billigem Öl wenigstens die sudanesische Energiekrise zu lindern. Vom Spritmangel im Sudan sind so gut wie alle Bereiche getroffen: Die Landwirtschaft hat durch den Ausfall von Maschinen hohe Einbußen, durch die Verteuerung der Transportkosten werden Lebensmittel unerschwinglich. Auch die humanitäre Hilfe von Uno und NGOs hängt an Benzin und Diesel. Dazu kommen chronische Strom- und Energieknappheit. Im Frühjahr wurde die Unzufriedenheit so groß, dass den Medien ein (weiterer) Maulkorb umgehängt wurde: Über die Spritkrise durfte nicht mehr berichtet werden.

Den Verlust des Erdöls versucht der Sudan mit der Entwicklung anderer Sektoren – wie Goldabbau und Landwirtschaft – auszugleichen, aber das braucht Zeit (und ebenfalls Diesel). Der Sudan produziert bis zu drei Viertel des global benötigten Gummi arabicum, selbst die USA hatten ihn von ihren Sanktionen ausgenommen, um nicht ihre Coca-Cola-Produktion zu gefährden. Aber das alles reicht nicht, auch nicht die Schafzucht, die die Arabische Halbinsel beliefert.

Neben Misswirtschaft frisst auch die Korruption vieles auf: Vielleicht inspiriert vom Vorbild Saudi-Arabien, wo Kronprinz Mohammed bin Salman im vergangenen November dutzende Reiche, darunter auch Prinzen, festsetzen ließ, wurde im Mai ein gutes Dutzend sudanesischer Geschäftsleute verhaftet. Der Kampf gegen die Korruption wurde auch dem Internationalen Währungsfonds zugesagt. Viele halten das jedoch für Augenauswischerei.

Haftbefehle für Darfur

Warum der 74-jährige Omar al-Bashir – von dem es heißt, dass er krebskrank sei – sich partout nicht zurückziehen will, reflektiert nicht nur den Charakter eines Machtmenschen. Zumindest der im Westen bekannteste Oppositionelle des Sudan, al-Sadiq al-Mahdi, der Chef der Umma-Partei, scheint davon überzeugt zu sein, dass Bashirs Beharren etwas mit den internationalen Haftbefehlen zu tun hat, die der Internationale Strafgerichtshof (ICC) 2009 und 2010 im Zusammenhang mit Verbrechen in Darfur auf ihn ausstellte. Das Amt ist ein Schutz für Omar al-Bashir.

Bevor im August die Entscheidung für eine neuerliche Kandidatur Bashirs fiel, versuchte al-Sadiq al-Mahdi, einen Deal mit dem ICC zu erreichen: Der Strafgerichtshof sollte die Haftbefehle ruhend stellen, um Bashir den Abschied von der Präsidentschaft zu erleichtern. Theoretisch kann der Uno-Sicherheitsrat so einen Beschluss fassen.

Die Wüste dringt vor

Protest gab es dagegen nicht zuletzt aus Darfur, dem Schauplatz eines Kriegs, der international vereinfacht oft als "Araber gegen Afrikaner" dargestellt wird. Die Verbrechen an der Zivilbevölkerung mit staatlicher Beteiligung sind unbestritten. Aber die Gründe sind komplex: Einer etwa liegt in der vom Klimawandel beschleunigten Desertifikation, die Viehzüchter immer mehr in den von Ackerbauern dominierten Raum vordringen lässt. Darfur ist nur der grausamste und bekannteste einer Reihe von Konflikten in der vernachlässigten Peripherie eines schwachen Zentralstaates, wie der Sudan einer ist – und die zu einer großen Anzahl von Binnenflüchtlingen führen.

Im Westen/Norden mag Bashir als Kriegsverbrecher in die Geschichte eingehen, in Afrika sehen das viele anders. Für ihn selbst problematischer war der Verlust des Südsudan. Dass sich der Süden – der bereits von der britischen Kolonialmacht ganz bewusst vom Norden getrennt gehalten wurde – für die Unabhängigkeit entschied, konnte nach jahrzehntelangen Bürgerkriegen nicht weiter verwundern. Die Gründung des Südsudan war jedoch ein Projekt mit immenser politischer internationaler Unterstützung, dass dieses christliche Gegenmodell zum islamischen Norden nun soeben die Vermittlung Khartums in Anspruch nimmt, um einmal mehr zu versuchen, aus seinem eigenen äußerst brutalen Bürgerkrieg herauszufinden, muss für die Sponsoren dieses jüngsten Staates der Uno ein Treppenwitz der Geschichte sein.

Dem schlechten Image des Sudan in der westlichen Presse steht entgegen, was viele ausländische Besucher erleben und loben: ein Land mit großen Schönheiten und liebenswürdigen Menschen. Im Sudan bestimmen noch immer religiöse Orden einen Volksislam, dessen mystische Dimension dem salafistischen Fundamentalismus Widerstand leistet. Aber die Jahrzehnte der Islamisierung aller Diskurse haben ihre Spuren hinterlassen. Auch zu Bashirs Versprechen für die Zukunft gehört immer noch "mehr Scharia". Auch das ein Grund, wegzugehen.