Frau Shylock beklagt ihr Los: Anja Herden.

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Dank der Kapitalstärke seiner Banken, zumal der jüdischen, ist Venedig zum Las Vegas der Renaissance geworden. Im Wiener Volkstheater gibt man Shakespeares Der Kaufmann von Venedig. Die Lagunenstadt hat man aus Gründen der Metaphernbildung in ein Kasino verlegt. Die sichtbaren Zeichen einer Erfolgsstory: Am Spieltisch dreht sich unsichtbar, aber laut hörbar das Rouletterad. Die Wände sind mit den Tapetenbahnen einer City-Skyline rot beklebt, nur dass die Wolkenkratzer eben Kopf stehen (Bühne: Thilo Reuther).

Umstürzend sind auch sonst die Reformen, die man Shakespeares zwiespältigstem Stück angedeihen lässt. Nachdem ein Confèrencier mit Goldrevers (Jan Thümer) die Zuschauer – als die Abzuzockenden – begrüßt hat, wird man zur Erfüllung demokratischer Pflichten genötigt.

Bastelt den Juden selbst!

Regisseurin Anna Badora, die Direktorin des Hauses, lässt ausrichten: Bastelt euch euren Juden selbst! Der titelgebende Kaufmann ist nicht die Hauptfigur, sondern Shylock. Er macht in Venedig diejenigen Geschäfte, für die sich die Christen notorisch zu gut sind. Dafür muss er sich von ihnen anspucken lassen. Wenn jedoch Not am Mann ist, wenn zum Beispiel der Kaufmann Antonio für seinen Bettgespielen Bassanio (Peter Fasching, ein windiger Schleicher mit Stromgitarre) Zaster locker machen muss, dann ist der Jude als Kreditgeber für den fidelen Christen gerade gut genug.

Jede Theatergeneration plagt sich aufs Neue mit dem Zerrbild des Shylock herum. Der Mann hat nämlich Witz; bloß dass dieser tödlich ist. Sein Geld lässt er sich mit einem Pfund Fleisch aus dem Leib Antonios urkundlich besichern. Die Venezianer finden das unschön, gerade auch in Wien: Hier tragen sie Smoking mit Kummerbund und bilden im Nu Hetzmeuten, die allen Juden mit feixenden Hassmienen oder mit bösen Clownsmasken ganz dicht auf den Pelz rücken.

Shylock ist bei der Premiere Jüdin

Shylock ist aber eben nicht nur Jude, sondern auch Jüdin. Schuld hat ausgerechnet das Publikum. Ganz zu Anfang standen nämlich drei Shylock-Typen zur Wahl. Der alerte Geschäftsmann (Rainer Galke), der Leopoldstädter Melancholiker (Sebastian Pass), die herbe Geschäftsfrau mit dunkler Hautfarbe (Anja Herden).

Warum es verschweigen: Die Dame Shylock hat bei zweimaliger Erhebung durch den Applausmesser (vor dem Stück, zur Pause) ganz knapp das Rennen auf dem Judenlaufsteg gemacht. Ihr Glück bildet nur leider Shylocks dreifaches Unglück. Sie ist jetzt, als Opfer gesellschaftlicher Unrechtsverhältnisse, überdeterminiert. Sie trägt als Jüdin auch noch die "Lasten" als Frau und als Dunkelhäutige.

Fahler Beigeschmack

Herden mimt ihr Unglück heroisch. Verhuscht hüllt sie ihr Leid in Zigarettenqualm. Äußerlich ähnelt sie mehr einer Bürgerrechtsanwältin, die die Winkelzüge ihrer Gegner im voraus berechnen muss. Im Kartenbüro sitzt ihre Tochter Jessica (Evi Kehrstephan) und stellt, selbst ein weiblicher Croupier mit handfesten Identitätsproblemen, den verhängnisvollen Schuldschein für Antonio aus. Das alles ist Stadttheater, mit durchschnittlichem Können nach vorne an die Rampe geschleudert.

Ein Beigeschmack bleibt. Wenn Antisemitismus Ausdruck einer Pathologie ist, die das eigene, abstrakte Elend mit einer konkreten Personengruppe, den Juden, identifiziert, so ist es gerade falsch, ein vorab freundliches Publikum über die äußere Gestalt einer Karikatur abstimmen zu lassen. Die Zuschauer wollen dem Geldverleiher ihr Mitleid ja nicht vorenthalten. Niemand möchte sich im Volkstheater an Shylocks Demütigung erfreuen. Ein solcher kardinaler Denkfehler ist trist. Er macht auch hübsche Leistungen wie die Verkleidung der Portia (Isabella Knöll) als "Rechtsgelehrter" komplett zunichte. (Ronald Pohl, 9.9.2018)