So sieht eine Siegerin aus.

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Österreichs große Medaillenhoffnung liefert.

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Innsbruck – Und sie hat doch Nerven. Als Jessica Pilz am Samstagabend, umjubelt von 4000 begeisterten Fans, in der Innsbrucker Olympiaworld erste Siegerinterviews geben sollte, wirkte sie kurz überwältigt. Wer kann es ihr verdenken? Im Alter von nur 21 Jahren hat sie dem enormen Druck standgehalten, der auf ihr lastete. Denn Pilz galt nach einer hervorragenden Saison, in der ihre schlechtesten Weltcupergebnisse im Vorsteig zweite Plätze waren, als Österreichs große Medaillenhoffnung bei der Heim-WM.

Herzschlagfinale ging gut aus

Nur die Slowenin und Weltcupführende Janja Garnbret konnte Pilz am Ende noch gefährlich werden, nachdem die gebürtige Niederösterreicherin die Wand als vorletzte Starterin souverän durchklettert hatte. Und bis zum wirklich letzten Griff war es ein an Spannung nicht zu überbietendes Duell. Am Ende zauderte die Slowenin einen Hauch zu lange und musste sich um elf Sekunden geschlagen geben.

Halb Innsbruck saß am Samstag vor dem Livestream und wie bei einer Fußball-WM in Brasilien hallten an diesem lauen Sommerabend die Anfeuerungsrufe mitfiebernder Fans durch die Straßen. Schließlich ist Pilz eine Tochter der Stadt.

Denn vor zwei Jahren hat die Haagerin ihren Lebensmittelpunkt in Tirols Landeshauptstadt verlegt. Wegen den besseren Trainingsmöglichkeiten. Hinter dem Erfolg der jungen Frau steht das Duo Reini Scherer, der sie im Vorstieg betreut, und Kilian Fischhuber, der fürs Bouldern zuständig ist. Scherer coachte einst schon Größen wie David Lama und Angie Eiter an die Spitze der Kletterwelt. Mit Pilz hat er die nächste Legende geschaffen.

Naturtalent

Auch im Bouldern – das Finale steigt kommenden Freitag – kann die Heeressportlerin vorne mitmischen. Pilz gilt als Naturtalent mit universellen Anlagen. Ihre ersten Züge machte sie 2005, als sie ihre Eltern im Rahmen des Ferienprogramms ihrer Heimatstadt Haag zum Klinderklettern anmeldeten.

Von da an ging es nur mehr bergauf. 2011 wurde Pilz Jugendweltmeisterin in der U16-Klasse im Vorstieg. Diesen Titel verteidigte sie 2012 und 2013 erfolgreich. 2014 holte sie den EM-Titel im Juniorinnenbouldern. Der Erfolg hielt auch in der Erwachsenenklasse an: EM-Titel 2015 in der Kombination und EM-Bronze im Vorstieg sowie Platz drei im Vorstieg-Gesamtweltcup.

Danach folgten verletzungsbedingte Rückschläge. Doch ihr Ehrgeiz blieb ungebrochen. Dank ihrer sportlichen Vielseitigkeit gilt Pilz als große Medaillenhoffnung für die Olympia-Premiere des Klettersports 2020 in Tokio. Dort wird nur die Kombination stattfinden, also ein Mixed-Bewerb aus Vorstieg, Bouldern und Speedklettern. Und genau darauf arbeitet Pilz bereits hin. Dass sie bis zum Alter von 16 Jahren keinen fixen Trainingsplan hatte und sich in sämtlichen Disziplinen versuchte, käme ihr dabei entgegen, sagt die Allrounderin.

Der eigene Weg

Überhaupt geht Pilz beim Training ihren eigenen Weg. So verzichtet sie komplett auf die Kraftkammer. Denn das sei fürs Klettern, wo es auf Körperspannung und Koordination ankomme, sogar eher kontraproduktiv. Sie hänge nur ab und an am Fingerboard.

Im Fels ist die Vorstieg-Weltmeisterin nicht anzutreffen. Derzeit liege ihr Fokus auf dem Wettkampfsport. Sie sei tatsächlich noch nie in ihrem Leben richtig Bergsteigen gewesen, sagt die HAK-Absolventin. Aber in zehn Jahren, nach der Wettkampf-Karriere, wolle sie dann von der Halle auf den Berg wechseln.

Bis dahin wird Pilz wohl noch einige Titel sammeln. Vielleicht krönt sie sich schon Sonntag zur ersten Kombi-Weltmeisterin. (Steffen Arora, 9.9.2018)