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Was ist los mit Marine Le Pen? Seit ihrer Niederlage in der Stichwahl gegen Emmanuel Macron fehlt ihr der bisher bekannte Punch.

Foto: Reuters / Gonzalo Fuentes

Noch im Frühjahr 2017 erzitterte ganz Europa vor ihr: Nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 und dem Trump-Triumph im November desselben Jahres setzte Marine Le Pen bei den französischen Präsidentschaftswahlen zum dritten Streich der "populistischen Internationale" an, um dem Establishment und der Europäischen Union den ultimativen Gnadenstoß zu verpassen, wie sie damals vollmundig erklärte.

Doch es kam anders. Das entscheidende TV-Duell gegen Emmanuel Macron verlor die Ultranationalistin blamabel, und in der folgenden Stichwahl gegen den späteren Präsidenten machte sie bloß 34 Prozent der Stimmen.

Seither ist der Wurm drin in ihrer Bewegung, die sie im Juni von Front National (FN) in Rassemblement National (RN) umgetauft hat. Zweck der Übung war es, das schlechte, von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen geerbte Image abzustreifen und die Tochter salonfähig und wählbar zu machen.

Doch auch dieses Unterfangen steht unter keinem guten Stern. Der RN zählt heute nur noch rund 30.000 Mitglieder – gegenüber 80.000 vor den Präsidentschaftswahlen. Zudem ermittelt die Justiz wegen Scheinjobs gegen die Partei: 15 ehemalige FN-Angestellte sollen auf den Lohnlisten des Europaparlaments in Straßburg geführt worden, in Wahrheit aber für die Partei in Paris tätig gewesen sein. Bis zu einem Urteil hält das EU-Parlament zwei Millionen Euro an Gehältern zurück – ein Sechstel des RN-Budgets von zwölf Millionen Euro.

Zahlungsunfähigkeit droht

Dies und der Mitgliederschwund bringen die Partei an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Sogar die für Ende August geplante Sommertagung der Partei musste Le Pen aus Spargründen absagen. Umso lauter schimpft sie jetzt über den "politischen Mord" durch ihre Gegner.

Und erst am Freitag wurde bekannt, dass Le Pen die Hälfte ihrer Angestellten in der Parteizentrale entlassen muss. Nicht minder gravierend: Sie muss ein Drittel der rund hundert Parteilokale zwischen Lothringen und der Bretagne dichtmachen. Die Partei kann die Mieten nicht mehr aufbringen.

RN-Finanzchef Wallerand de Saint-Just erklärt außerdem, er habe "keinen roten Heller" für die Europawahlkampagne 2019. Die Partei ruft die verbliebenen Parteimitglieder deshalb seit Wochen zu Spenden auf, bisher sind aber erst 600.000 Euro zusammengekommen.

Mit ein Grund für diese Malaise ist Le Pens Kernproblem, das sie seit den Präsidentschaftswahlen mitschleppt und nicht zu lösen vermag: Bei der zentralen Frage hinsichtlich eines möglichen EU-Austritts ihres Landes laviert sie, wohl wissend, dass die Franzosen mehrheitlich gegen den "Frexit" wären.

Gerüchte um Nachfolgerin

Auch persönlich wirkt die 50-Jährige ohne Punch und Ideen. Viele Parteigänger würden bereits jetzt ihre 28-jährige Nichte Marion Maréchal vorziehen. Diese hat sich zwar vorläufig aus der Politik zurückgezogen, doch sie könnte ihre angeschlagene Tante schon bald politisch beerben.

Fast nostalgisch erinnerte Marine Le Pen kürzlich daran, wie sie vor Jahren den italienischen Gesinnungsgenossen Matteo Salvini in Paris empfangen hatte. Seiner in der Krise befindlichen Lega hätten die Umfragen damals nicht mehr als drei Prozent Stimmen gutgeschrieben, erzählte sie. Salvini bat sie um ein Selfie und ließ sich auf Wahlplakaten der Lega neben der Mentorin abdrucken.

Heute ist die Lage umgekehrt. Wie die Pariser Tageszeitung La Croix schreibt, ist Marine Le Pen nicht länger die "Inspiratorin" der Lega; sie müsse vielmehr versuchen, "von deren Erfolg zu profitieren". Ob ihr das in absehbarer Zeit gelingen kann, wird derzeit bezweifelt: Laut Umfragen könnten die Lepenisten bei den Europawahlen im nächsten Mai auf weniger als 20 Prozent der Stimmen zurückfallen. (Stefan Brändle aus Paris, 10.9.2018)