Es ist viel Blut geflossen in den vergangenen Jahren in Nordafrika und dem Nahen Osten: Aber die "Auflösung" – ein zynisches Wort für das, was passierte – des Muslimbrüder-Protestcamps an der Rabaa-Al-Adawiya-Moschee in Kairo am 14. August 2013, nach der Absetzung des Muslimbruderpräsidenten Mohammed Morsi, sticht als eines der blutigsten Einzelereignisse hervor. Über die Zahlen herrscht Uneinigkeit: Menschenrechtler sprechen von 900 Toten, die ägyptische Regierung von 600.

Mit den Urteilen gegen 734 Angeklagte soll nun ein Schlussstrich gezogen werden. Es ist eine Abrechnung, bei der nur die Sichtweise des Staates gilt. Gewalt wurde demnach am 14. August 2013 nur von den Protestierenden ausgeübt, nicht von Sicherheitskräften, die ohne Unterschied in die Menge schossen. Sie handelten rechtmäßig.

Abgeurteilt wurden aber nicht nur die Demonstranten und ihr Umfeld – wie etwa unerwünschte Journalisten, die ihrer Arbeit nachgingen – und die Muslimbrüder-Führung. Kriminalisiert wird jeder, der Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Absetzung Morsis hat, auch ohne jemals mit diesem sympathisiert zu haben. Auch jene werden zu Verrätern erklärt, die die Absetzung Morsis noch unterstützten, sich angesichts der folgenden Repressionswelle und vor allem des Blutbads von Rabaa aber entsetzt abwandten. Das ist das schöne neue Ägypten sieben Jahre nach der Absetzung von Hosni Mubarak. (Gudrun Harrer, 9.9.2018)