Jyrki Katainen zeigt das Einsparungspotenzial im EU-Budget.

Foto: AFP/John Thys

Die von Donald Trump angezettelten Handelskonflikte sind zwar eine Gefahr für die Weltkonjunktur, sie haben aber auch positive Seiten, sagt der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Jyrki Katainen, im STANDARD-Interview. Die Stellung der EU in der Welt werde gestärkt, wofür der Finne einen Beleg in den Fortschritten bei diversen Handelsabkommen sieht – als Beispiele nennt er Verhandlungen mit Japan und dem südamerikanischen Block Mercosur. Nun will Katainen auch die militärischen Aktivitäten der Union stärken und die Forschung bei der Rüstung EU-weit bündeln. Kritik übt der Kommissar an Ländern wie Österreich, die starke Kürzungen in der EU-Verwaltung fordern. Dieses Ansinnen sei bei wachsenden Aufgaben wie beispielsweise Grenzschutz eine "Illusion".

STANDARD: Die EU-Kommission will Internetkonzerne stärker besteuern. Fängt man sich da nicht einen neuen Handelskonflikt mit den USA ein, wo Google oder Facebook ihren Sitz haben?

Katainen: Die effektive Steuerquote auf Betriebe beträgt in der EU 23 Prozent, digitale Unternehmen zahlen nur neun Prozent Steuern auf ihre Gewinne. Das zeigt, dass unsere Besteuerung nicht up to date ist. Angesichts der Digitalisierung geht es um die Frage, ob man künftig überhaupt noch Steuern einheben kann. Ein anderes Argument: Einige Mitgliedsländer sind bereit, hier zu handeln. Nationale Vorstöße würden zu einem fragmentierten Steuerumfeld führen. Besser wäre eine einheitliche Steuerbasis im EU-Binnenmarkt.

STANDARD: Und die Bedenken betreffend die USA?

Katainen: Die Pläne zur Digitalsteuer richten sich nicht gegen ein spezielles Land oder Unternehmen, sie sind universal.

Bei Geldern für Rüstungsprojekte der EU sieht er etwas mehr Spielraum.
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STANDARD: Apropos USA. Derzeit hat sich der Handelsstreit mit Europa entspannt, die Strafzölle auf Alu und Stahl sind aber in Kraft. Was tut sich hier?

Katainen: Es handelt sich um Maßnahmen, die gegen die WTO-Regeln verstoßen und gegen die wir Klage eingereicht haben. Im Juli haben EU und USA eine Art Feuerpause ausgehandelt: Die USA werden keine weiteren Strafzölle erheben und Verhandlungen über Zollreduktionen auf Industriegüter starten. Das ist die richtige Richtung. Dazu kommt, dass es auch Bewegung beim Marktzutritt gibt, beispielsweise bei medizinischen Geräten.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Eskalation zwischen den USA und China im Handelsstreit?

Katainen: Wir stimmen mit den USA überein, was die Beschränkungen des Marktzugangs und andere Verzerrungen in China anbelangt. Erzwungener Technologietransfer, Subventionen für Industrie und Überkapazitäten in Bereichen wie Stahl sind für Ungleichgewichte der Weltwirtschaft mitverantwortlich. Aber wir stehen auf keiner Seite. Wir teilen die Meinung der USA betreffend unfairer Praktiken Chinas, sind aber gegen deren Vorgangsweise.

STANDARD: Wie wird sich der Konflikt auswirken?

Katainen: Wir sind diesbezüglich besorgt. Je weniger Handel zwischen den beiden stattfindet, desto schlechter ist das für das weltweite Wachstum, auch wenn europäische Produzenten profitieren sollten. Das ist eine negative Entwicklung. Trumps Verhalten hat aber auch Europas Stellung in der Welt gestärkt. Einer der Gründe, warum wir die Handelsverhandlungen mit Japan abgeschlossen haben, war die neue Position der USA. Ähnliches gilt für die Fortschritte in den Verhandlungen mit dem Mercosur. Die EU wird wegen der unilateralen Haltung der USA in der Welt stärker als die Hüterin des Multilateralismus wahrgenommen.

STANDARD: Apropos stärkere Stellung. Sie wollen auch die militärische Rolle der EU stärken?

Katainen: Wir wollen die Forschungsaktivitäten im militärischen Bereich stärken. Derzeit finanziert jeder Mitgliedsstaat kleinere Projekte mit wenig Mitteln allein. Daher soll ein EU-Fonds etabliert werden, um eine Duplizierung zu vermeiden. Gemeinsame Projekte sollen aus einem Fonds finanziert werden, damit die Länder mehr kooperieren und bessere Resultate erzielt werden. Außerdem soll die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Cyberattacken verstärkt werden.

STANDARD: Warum wird das nicht innerhalb der Nato organisiert?

Katainen: Die EU hat eine starke Außenpolitik, aber mehr Kooperation ist notwendig. Zum Beispiel gibt es schon die Battlegroups für Friedenseinsätze der EU. Allerdings sind sie nie zum Einsatz gelangt, weil sich die Mitgliedsstaaten noch nicht über die Finanzierung einigen konnten. Künftig würde das aus einem Topf finanziert, der außerhalb des EU-Budgets von den Mitgliedsstaaten gefüllt werden soll.

STANDARD: Apropos Geld: Hier verlangen Nettozahler wie Österreich Abstriche beim EU-Budget.

Katainen: Einige Mitgliedsstaaten wollen weniger Geld an die EU zahlen. Gleichzeitig werden Einsparungen abgelehnt und eine Stärkung des Grenzschutzes oder der Forschung verlangt. Als Lösung wird dann meist eine Kürzung in der EU-Verwaltung präsentiert. Natürlich kann man hier immer noch effizienter werden. Aber zu glauben, dass dann all die neuen Bedürfnisse finanziert werden können, ist eine Illusion.

STANDARD: Warum?

Katainen: Die EU-Kommission hat 32.000 Beschäftigte. Rechnet man Parlament, Rat und andere EU-Institutionen hinzu, sind es 48.000 Leute. Zum Vergleich: Österreich hat im Bund 132.000 Bedienstete. Wien kommt auf 29.600 Beschäftigte. Es ist einfach zu sagen, dass neue Prioritäten durch administrative Einsparungen finanziert werden können. Aber das ist einfach nicht wahr. (Andreas Schnauder, 10.9.2018)