Nur tanzen und trinken? Clubs können auch Orte für Utopien sein – wenn allen Beteiligten daran gelegen ist.

Foto: Karolina Miernik, Emilia Milewska

Profilierte Veranstalterin in Wien: Marlene Engel.

Foto: N. Ostermann

Sollte man laut Engel kennen: Leon Leder aka Asfast.

aaasf

Sollte man laut Engel kennen: Stefan Juster macht unter anderem als Jung an Tagen Musik.

EditionsMego

Sollte man laut Engel kennen: Beatrix Curran aka Battle-ax ist von Sydney nach Wien gezogen.

Battle-ax

Sollte man laut Engel kennen: Veronika König aka Farce.

FARCE

Sollte man laut Engel kennen: die in Wien lebende Rapperin Ebow.

Seayou Records

Ende Juni haben Neos und Grüne im Wiener Gemeinderat einen Antrag auf eine Studie zur Nachtwirtschaft der Bundeshauptstadt durchgebracht. Es brauchte drei Anläufe, die Wirtschaftskammer wurde mit der Erstellung beauftragt. In anderen Metropolen gibt es Erhebungen zu Infrastruktur und Clubs als Wirtschaftsfaktor schon lange. Ist die Alternativkultur in der Stadt des Walzers ein Stiefkind?

Einerseits zwangen Anrainerklagen wegen Lärmbelästigung unlängst den Undergroundclub Sub zur Schließung. Der Donaukanal als Freifläche in der Stadt beherbergt zunehmend chice Lokale. Andererseits produziert die Szene eine Vielfalt an Stilen. Marlene Engel veranstaltet seit zehn Jahren Partys in Wien. Sie kennt die Herausforderungen, mit denen die Szene hadert.

STANDARD: Wie geht es der Wiener Clubszene?

Engel: Inhaltlich tut sich viel. Aber es gibt in den letzten Jahren immer weniger Räume für diese Art von Musik. Viele kleinere Clubs in den inneren Bezirken haben zugesperrt. Die verbliebenen Orte sind oft Unternehmen, die mit der Musikszene direkt wenig zu tun haben. Das sind Orte, an denen man sich als Veranstalter einmietet, die aber keine eigene Identität haben und keinen Anschluss an die Kultur, aus der viel dieser Kunst entspringt. Da geht es mehr ums Geld.

STANDARD: Warum sperren kleine Clubs zu?

Engel: Etwa wegen steigender Mieten. Zudem verhindern Auflagen oft, dass Musik in einer Lautstärke und damit Qualität präsentiert werden kann, die sie verdient. Strengere Auflagen machen es aber schwieriger für junge Leute, Orte zu eröffnen. Denn Auflagen zu erfüllen kostet Geld. Viele Clubs gehören also älteren Männern.

STANDARD: Wie viel kostet eine Veranstaltung?

Engel: Allein Clubmieten betragen 500 bis 2500 Euro, ein bekannterer Act kostet 800 bis 2000. Dazu muss der Künstler eingeflogen und Werbung dafür gemacht werden. Nur mit den Einnahmen durch Eintritt geht sich das schwer aus, die Einnahmen der Bar bleiben ja beim Club. Vieles im Betrieb grenzt an Selbstausbeutung.

STANDARD: Sie fordern stärkere Subventionierung.

Engel: Auch am Musikmarkt sind neue Wege zur Monetarisierung gefragt. Aber der Wert zeitgenössischer Musikveranstaltungen besteht ja nicht nur in Einnahmen, sondern Kunst ist ein Wert an sich. Sie schafft Freiräume, Denkanstöße, Lebensqualität. Ich finde, da gibt es einen öffentlichen Auftrag, der über Gelder hinausgeht.

STANDARD: Wie steht die Szene international da?

Engel: Das kulturelle Kapital von Wien sind – besonders in der Außenwirkung – Oper und Klimt, das kulturelle Kapital von Berlin ist das Berghain. Was davon ist mehr im Hier und Jetzt verankert? Klassik erzählt eine Geschichte von Wien, aber es muss in einer Musikstadt möglich sein, einmal eine neue Identität zu finden. Was ist die Musik vom und über das Jetzt? Wien steht an einer Weggabelung und sollte der Szenen helfen, den Anschluss wieder zu bekommen.

STANDARD: Woran denken Sie da konkret?

Engel: In der darstellenden Kunst gibt es Institutionen wie Impulstanz oder Häuser wie das Tanzquartier, das Wuk, das Brut, die in ihrer Sparte international bekannt sind und neue Kunstformate zeigen. Neue Musik hat dieselbe Fläche verdient! Niederösterreich hat das Donaufestival, Graz das Elevate. Aber die Szene ist so vielfältig, und man darf sie nicht auf Festivals reduzieren, vor allem nicht in der Hauptstadt. Es gibt elektroakustische Komposition, Clubkultur und Dancefloor, Communitys, und es gibt auch Musik, die nicht für den Dancefloor gemacht ist.

STANDARD: Wie sieht die Förderlandschaft aus?

Engel: Im Musikbereich gab es in den letzten Jahren nur wenig Geld, das frei war. Das meiste Geld ist in längeren Verträgen gebunden. Aber die Stadt versucht, sich neu aufzustellen. In der MA7 gibt es einen neuen Musikbreirat, das ist ein wichtiger Schritt. Über Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler wird mir Gutes berichtet, die hat wohl Verständnis für diese Musik. Die Bundesregierung weiß wohl noch nicht so recht.

STANDARD: Der Kern von Subkultur war einst Widerstand. Geht das durch Subvention verloren?

Engel: Eine Subkultur ist diese Szene, denke ich, nicht mehr. Nicht nur Festivals erreichen viele Menschen. Ich stelle eine andere Frage: Geht Widerständigkeit verloren, wenn Firmen Künstler sponsern? Es gibt keine allgemeingültige Antwort. Das Konzept Hoch- und Subkultur gehört aber hinterfragt.

STANDARD: Inwiefern?

Engel: Diese Dinge müssen ja nicht gegeneinanderstehen. Manche klagen, Gelder für neue Kunst von der Klassik zu nehmen sei falsch. Das ist ein Aufruf zum Stillstand. Man muss im Budget umschichten, denn wir werden wohl nicht mehr Geld für Kultur kriegen. Die Förderung so einer Veranstaltung wird wahrscheinlich auch günstiger sein als in der Oper.

STANDARD: In den 1990ern galten Clubs als Orte für Utopien. Welche Utopien hat die Wiener Szene?

Engel: Diversity und Queerness etwa. Bei meinen Line-ups liegt das Verhältnis der männlichen und weiblichen Künstler bei 50:50. Ich denke da auch an andere junge Veranstalterinnen wie Zarah Kahn von Common Contact, Duffy von Femme DMC. Dank Initiativen wie Female Pressure und Femdex haben solche Fragen Bildfläche gewonnen, und es gibt immer mehr Veranstalter, die Zero-Tolerance-Policies gegen Sexismus, Homophobie und Rassismus vertreten. Das Rrriot Festival versucht zudem, Know-how in diesem Bereich an junge Frauen weiterzugeben.

STANDARD: Was kann Wien sich wo abschauen?

Engel: Einen Nachtbürgermeister als Vermittler zwischen Clubs, Anrainern und Stadt einzuführen, wie in London, kann hilfreich sein. In Amsterdam darf rund um die Uhr gefeiert werden – es macht weniger Lärm, wenn nicht alle zugleich zusperren und Gäste auf die Straße schicken. (Michael Wurmitzer, 10.9.2018)