Der Vormarsch der extremistischen Kräfte bei den Wahlen in Schweden und erst recht in Italien, die Spaltungstendenzen in der EU, gefördert von rechtspopulistischen Regierungsparteien, unterstützt von Wladimir Putin, verleihen den Diskussionen um die Suche nach einer europäischen Lösung des Migrationsproblems und um die Verteilung der Milliarden im EU-Haushalt eine besondere Brisanz. Dazu kommen die heiklen Manöver um die Neuverteilung der Führungsposten, vor allem das Rennen um die Neubesetzung der Spitzen der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank.

Was aber ein halbes Jahr vor der Europawahl die größte Sorge auslöst, ist die Tatsache, dass die von vielen als "Retter der EU" betrachteten Spitzenpolitiker – der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel – mit innenpolitischen Krisensituationen konfrontiert sind. Macrons Umfragewerte sind schlechter als die seines gescheiterten Vorgängers François Hollande im selben Vergleichszeitraum. Seine rhetorisch brillant vorgetragenen Ideen für die Zukunft der EU sind aufgrund des verstärkten rechtspopulistischen und nationalistischen Einflusses in etlichen Ländern bisher folgenlos geblieben.

Der 40 Jahre alte Präsident Frankreichs und seine Regierung geben aber den Kampf für Europa nicht auf. Im Gegenteil: In mehreren Reden sagte er, dass der lange und schwierige Kampf für Europa erst jetzt beginne. "Ich werde gegenüber Nationalisten und denjenigen, die Hassreden verbreiten, keinen Deut zurückweichen." Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian drohte bei der französischen Botschafterkonferenz: Frankreich werde keine finanzielle Unterstützung für jene Mitglieder leisten, "die grundlegende Prinzipien der EU nicht respektieren und sich nicht an gemeinschaftliche Solidarität gebunden fühlen".

Bekenntnis zu europäischen Werten

Macron hat in Reden und Interviews "den Beginn eines langen und schwierigen Kampfes um Europa" angekündigt. Nachdrücklich warnt er vor Putin, der die Populisten fördert und dessen Traum es ist, die EU zerlegen. In seinem uneingeschränkten Bekenntnis zu europäischen Werten sieht Macron offensichtlich die deutsche Kanzlerin als seine wichtigste Verbündete in der großen Auseinandersetzung mit den nationalistischen und populistischen Kräften in der EU. Merkel sei "völlig auf der Seite der Fortschrittlichen, da gibt es keine Zweideutigkeit". Die Europäische Volkspartei (EVP) betrachtet er als einen unsicheren Kantonisten: "Man kann nicht gleichzeitig Merkel und Orbán unterstützen."

Nach den Unruhen in Chemnitz und dem Höhenflug der rechtsradikalen AfD ist die Position Merkels weiter geschwächt. Laut Umfragen liegt diese ausländerfeindliche, rassistische Partei in Ostdeutschland mit 27 Prozent bereits vor der CDU. In Bayern und Hessen holt sie vor den im Herbst fälligen Landtagswahlen auch stark auf. Der CSU-Parteichef und zugleich Bundesinnenminister Horst Seehofer tut nach wie vor sein Bestes, die Autorität der Kanzlerin zu untergraben. Bereits vor den EU-Wahlen erhalten Rechtspopulisten und Nationalisten von Orbán bis Salvini auch international immer mehr Zulauf. (Paul Lendvai, 10.9.2018)