Was im bargeldverliebten Deutschland utopisch klingt, ist in China bereits Usus: Auf dem Markt wird mit dem Smartphone bezahlt. Das bayerische Unternehmen Wirecard und Alibaba machen es möglich.

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Es klang zur Jahrtausendwende nach einer irrwitzigen Geschäftsidee: Zahlungen im Internet abwickeln – und das im bargeldverliebten Deutschland. Wäre damals nicht eine Investorengruppe eingesprungen, gäbe es Wirecard wahrscheinlich nicht mehr. Zunächst waren es die Porno- und Glücksspielbranche, die das Unternehmen über Wasser hielten. Derartige Onlinezahlungen wickelte das Unternehmen ab.

Heute, rund 18 Jahre später, hat das Unternehmen eindrucksvoll gezeigt, dass die Idee nicht ganz so absurd war. Wirecard beschäftigt rund 4.500 Mitarbeiter und steht bei einem Marktwert an der Börse von rund 24 Milliarden Euro. In der breiten Masse genießt Wirecard jedoch einen ähnlichen Bekanntheitsgrad wie der Firmensitz Aschheim, eine 9.000-Einwohner-Gemeinde in Oberbayern östlich von München.

Top 30 in Deutschland

Das dürfte sich nun ändern. Das 1999 gegründete Start-up ist in der Beletage der deutschen Wirtschaft, dem Leitindex Dax, angekommen. Ein Gründungsmitglied, die Commerzbank, musste deswegen den Platz unter den 30 wertvollsten Unternehmen räumen.

Der österreichische Vorstandschef Markus Braun geht von einer weiteren derartigen Entwicklung aus, der Dax sei nur ein Zwischenschritt. Weltweit würden 80 Prozent der Zahlungen noch in bar abgewickelt, das Geschäftspotenzial sei demnach endlos. Der 47-jährige Wiener übernahm im Jahr 2002 die Zügel der Firma.

Im Onlinehandel ist Wirecard bereits allgegenwärtig, ohne dass es Verbrauchern auffällt. Das Unternehmen ist keine klassische Bank, verfügt aber seit 2006 über eine Banklizenz und verdient Geld mit der Abwicklung von digitalen Zahlungen. Es ermöglicht mobile Zahlungen über Handy, herkömmliche Computernetzwerke oder Karten. Giganten der IT-Branche wie Google, Apple, Alibaba und Tencent stehen auf der Kundenliste, aber auch Banken, Versicherer, Kreditkartenfirmen und Einzelhändler.

Umsatztreiber Asien

Bezahlung mittels Smartphone gehört in weiten Teilen Asiens zum Alltag – wenig überraschend erwirtschaftet Wirecard in der Asien-Pazifik-Region fast die Hälfte des Umsatzes. Dieser belief sich 2017 auf rund 1,5 Milliarden Euro. Jüngst wurde sogar die Gewinnprognose erhöht, der Umsatz soll sich bis 2020 auf mehr als drei Milliarden Euro verdoppeln. "Ziel ist es, kraftvoll organisch die Welt zu erobern", verkündete Vorstandschef Braun im Frühjahr wenig bescheiden und umso zuversichtlicher. Immerhin geht es für ihn auch um einen stattlichen Verdienst. Er hält gut sieben Prozent der Firmenanteile, was in etwa 1,6 Milliarden Euro entspricht.

Seit Jahren kämpft Wirecard immer wieder mit Vorwürfen über Unregelmäßigkeiten im Zahlungsverkehr und möglichen Bilanzmanipulationen. Aus dem Konzept bringen lässt sich das Unternehmen dadurch nicht. Es lässt sich sogar ein Schema erkennen. Ein eher unbekannter Researchdienst greift Wirecard an, und die Aktie fällt. Der Konzern dementiert die Vorwürfe, die Aktie erholt sich und steigt höher als zuvor. Viele dieser Vorwürfe dürften dem deutschen Handelsblatt zufolge auf die Anfangszeit zurückgehen.

Unterschiedliche Zukunftsszenarien

Wer sich von diesen Vorwürfen nicht verunsichern ließ und vor fünf Jahren eine Aktie gekauft hat, hat sein Geld mittlerweile mehr als versiebenfacht.

Die knapp 40.000 Kunden werden mehr werden, davon ist auszugehen – aber auch die Konkurrenten. Wettbewerber wie Ayden oder Paypal werden dafür sorgen, dass die Margen fallen und womöglich auch der Aktienkurs. Mit dem Wachstum der Firma hält der Gewinn schon lange nicht mehr mit, doch da stehen die Anleger darüber. Sie bezahlen aktuell rund sechzigmal so viel für die Aktie, wie die Firma heuer vermutlich verdienen wird, rund 360 Millionen Euro Nettogewinn. Kein anderes Papier im Dax ist so teuer. Bei den übrigen Konzernen, die Milliardengewinne erwirtschaften, bezahlt man in etwa den dreizehnfachen Jahresnettogewinn. (Andreas Danzer, 10.9.2018)